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Kultur: Damals in West Virginia, hinter den sieben Bergen

Die Stories des Amerikaners Breece D’J Pancake sind das Vermächtnis eines Frühvollendeten

Trilobiten – das sind Gliederfüßer, die vor mehreren hundert Millionen Jahren im Meer lebten. Überreste davon kann man heute noch in versteinerter Form finden. Sie dienen zur Bestimmung des Alters von Sedimentgesteinen und können wichtige Erkenntnisse zur Evolutionsgeschichte liefern. „Trilobiten“ heißt auch eine der besten Geschichten von Breece D’J Pancake.

Colly, ein junger Mann, dem der Boden unter den Füßen zu entgleiten droht, versucht Halt zu finden in dem, was ihm unvergänglich scheint. „Lange Zeit vor mir oder vor diesen Maschinen floss hier der Teays. Fast kann ich das kalte Wasser fühlen und wie es kribbelt, wenn die Trilobiten über einen kriechen. Das ganze Wasser aus den alten Bergen floss Richtung Westen. Aber dann hob sich das Land. Es blieben nur die Ebenen und die versteinerten Tiere, die ich sammle.“

Es ist ein Abschied, der hier beschrieben wird: Der Vater ist gestorben, die Mutter möchte die alte Farm verkaufen. Ginny, die Jugendliebe des Erzählers, kehrt zurück vom College, aber nichts mehr gleicht dem Leben, wie es einmal gewesen ist, wie Colly es sich weiterhin wünscht. In den Petrefakten, die der Erzähler sammelt, ist die Vergangenheit aufgehoben. Aber sie lässt sich nur noch als Relikt betrachten. Das Land, das doch einmal eine Heimat war, erzeugt nur noch Bitterkeit, Verlorenheit und Melancholie.

Colly macht sich auf und davon, er folgt dem Fluss, und wo immer der junge Mann strandet, wird er sein Zuhause noch in sich tragen – zu Stein geworden, die Zeiten überdauernd. „Ich laufe los, aber ich fürchte mich nicht. Ich fühle, wie meine Angst in Ringen vor mir fortgetragen wird, durch die Zeit, eine Million Jahre.“

Die seltsame Schreibung seiner Mittelinitialen verdankt Breece D’J Pancake einem Druckfehler bei seiner ersten Veröffentlichung. Er hat das Fehlerhafte beibehalten, wie etwas, das, einmal in der Welt, auch zu ihm gehörte.

Zu Lebzeiten publizierte er ein paar wenige Kurzgeschichten im „Atlantic Monthly“, sein Gesamtwerk umfasst insgesamt nur zwölf Stories, die Anfang der achtziger Jahre in den USA und in diesem Frühjahr erstmals in der gelungenen Übersetzung von Katharina Böhmer auf Deutsch erschienen sind. Im Alter von 26 Jahren hat sich der Autor 1979 erschossen. Pancake stammte aus West Virginia, einer ärmlichen, in den Appalachen gelegenen Region.

Seine Geschichten sind von diesem Landstrich geprägt, auch wenn Pancake von dort wegging, das College besuchte und als Lehrer arbeitete – gerade die spröde, harte Wirklichkeit dieses gottgläubigen und gottverlassenen Staates gibt die Szenerie für seine kleinen Alltagsdramen ab. Und nicht nur die Szenerie: Die Wälder, Berge und Flüsse spielen die eigentliche Hauptrolle; sie formen die Charaktere und ihr Denken, sie sind das Unhintergehbare. Das Land lässt sich nicht verlassen, so sehr man sich das auch wünscht. Jeder ist hier der Teil einer Geschichte, aus deren Verlauf man nicht auszubrechen vermag.

„Die Verwandten gehen über die Felder, um sich anzuschauen, wie geschickt die Generationen vor ihnen diese Farm angelegt haben. Ottie weiß, wie gut alles zueinander passt: die Weide auf den Hügeln, ein Obstgarten mit einem abgezäunten Friedhof, die Niederungen mit den Feldfrüchten, die das Geld bringen.“ „Dwarfed by space“ nennen die Amerikaner die Erfahrung, unscheinbare Wesen in diesem schier endlosen, riesigen Land zu sein.

Auch die Figuren Pancakes scheinen zu Zwergen degradiert, sie ducken sich weg, versuchen zu verstehen und verharren doch meist ratlos vor ihrem Leben. Sie üben sich in Demut. Oder winden sich in einer Vergangenheit, die ihr Leben bestimmt, sich aber nicht erhellen lässt. So wie Ottie, der als Pflegekind in einer Familie aufwächst, die ihm keine große Liebe entgegenbringt. Die Zuneigung gehört ganz allein dem leiblichen Sohn Bus, der nach einem Unfall trist vor sich hinvegetiert. In der Schwebe bleibt, wie es zu diesem Unfall kam, ob wirklich Ottie eine Mitschuld daran trägt, wie von seinem Ziehvater angenommen wird. Alles ist verschattet durch dieses dunkle Ereignis. Ein raffiniertes Spiel von Verdächtigung, Duldsamkeit, Leid, das Pancake in diesem brillanten Text mit dem Titel „Auf dem Trockenen“ inszeniert.

Breece D’J Pancakes „Stories“ wurden von berühmten Kollegen gefeiert. Manche sahen darin die Kraft des Debüts von Ernest Hemingway; andere bescheinigten ihm, West Virginia ein ebenso bedeutsames Denkmal gesetzt zu haben wie Joyce einst seiner Heimatstadt mit dem Erzählungsband „Dubliners“. Allerdings gibt es durchaus schwächere Texte in diesem Buch, solche, in denen eine Unschlüssigkeit zu spüren ist, wo sie eigentlich hinwollen; in denen eine Enge und Undurchdringlichkeit herrscht, die möglicherweise der starken Bindung an die Herkunftslandschaft geschuldet ist. West Virginia interessiert den Leser eben nur dann, wenn ihn auch die Konflikte der Figuren etwas angehen. Das ist nicht immer der Fall.

Gleichwohl ist Pancakes Story-Sammlung eine Entdeckung, die dem Weissbooks-Verlag zur Ehre gereicht. Eine Entdeckung, die leider auch Wehmut erzeugt: Das Buch ist das Dokument eines Frühvollendeten, an dem sich vieles ablesen lässt über Zeit und Landschaft und das Leben. Und es ist eben auch das nie eingelöste Versprechen auf ein Werk.

Breece D'J Pancake: Stories. Aus dem Amerikanischen von Katharina Böhmer. Weissbooks, Frankfurt a.M. 2011. 217 Seiten, 19,80 €.

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