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Pianist, Dirigent, Kosmopolit, Kulturmanager, Generalmusikdirektor: Daniel Barenboim.

© Felipe Sanguinetti

Daniel Barenboim: Der Zuversichtliche

Heute feiert der große Musiker Daniel Barenboim seinen 70. Geburtstag

Auf seinem Totenbett liegend, bat der strenge Plato, der die Musik aus seiner Ideal-Polis verbannt hatte, eine Flötenspielerin zu sich und gab ihr mit spärlichen Fingerzeigen den Takt an – ein Dirigent wider Willen? Es war der erlösende Geist der Musik, der ausgerechnet denjenigen Philosophen tröstete, der die verzaubernde Macht der Künste im Namen der Vernunft überwinden wollte. Vergebens.

Die Dialektik zwischen Klang und Stille definiert Daniel Barenboims Musikverständnis, das in jeder seiner Proben und schließlich in seinen Aufführungen buchstäblich zu hören ist. „Wenn ich Musik mache“, sagt Daniel Barenboim, „habe ich schon beim ersten Ton, den letzten, also den Tod im Blick.“ Schier unsterblich ist allerdings der weltweite Ruf des Pianisten, Dirigenten, hoch gebildeten Schriftstellers (ja, das ist er auch), der heute seinen 70. Geburtstag feiert. Sprachmächtiger Kosmopolit mit vier Staatsbürgerschaften, Kulturmanager im besten Sinne des Wortes, Generalmusikdirektor an der Staatsoper Berlin seit 20 Jahren und der Mailänder Scala, Orchestergründer, politisch anstößiger Wagner-Verehrer in Israel – aus dem „phänomenalen jungen Barenboim“ (Wilhelm Furtwängler) ist ein charismatisches Genie seiner zahllosen Begabungen geworden, die er mit einer diszipliniert-leidenschaftlichen Gelassenheit realisiert.

Doch hinter seiner bisweilen spielerischen Heiterkeit verbirgt sich ein existenzieller Ernst: „Mit Musik können wir etwas über uns selbst, unsere Gesellschaft, die Politik, kurz gesagt, über uns selbst als Menschen erfahren.“ Und: Beim Spielen (und Hören) „eines Musikstücks ist es möglich, einen einzigartigen Zustand inneren Friedens zu erlangen, unter anderem, weil man mit Klängen das Verhältnis zwischen Leben und Tod zu kontrollieren vermag: Das ist eine Macht, die dem Menschen im Leben mit Sicherheit nicht verliehen ist“. Und doch ist es diese Erfahrung, die Barenboims Vorstellung einer freien, gerechten Gesellschaft definiert.

Seine Idee des „inneren Friedens“ durch und in Musik war es, die Daniel Barenboim und seinen engsten Freund, den arabisch-amerikanischen Literaturwissenschaftler Edward Said („Orientalismus“) 1999 dazu anregten, das West-östliche Divan Orchester zu gründen. Das geschah im „Klassik-Jahr“ in Weimar, im Geist von Goethes lyrischer Verneigung vor Hafis' persischen Liebesgedichten. Inzwischen ist aus dem ehemaligen Jugendorchester, bestehend aus arabischen und israelischen Musikern, ein einmaliges Ensemble geworden. Seine unwahrscheinliche, aber reale professionelle Existenz, sein Musizieren tragen dazu bei, mit Barenboim gesprochen, „eine allzu dogmatische religiöse Einstellung aufzuweichen, indem er einer wichtigeren weiteren Stimme Gelegenheit gibt, sich zu artikulieren, einer Stimme, die einen Kontrapunkt zu der Monotonie religiöser Inbrunst bildet“. Die „universale metaphysische Sprache der Musik“, so Barenboim, als Element, das alle diese jungen Leute miteinander verbindet. Für sechs Wochen im Jahr treffen sich die Orchestermitglieder wieder, geben Konzerte in aller Welt. Im Januar tritt das Ensemble in New Yorks Carnegie Hall auf.

Vor dem Konflikttableau der politisch scheinbar aussichtslosen, spannungsgeladenen historischen, territorialen und kulturellen Widersprüche zwischen Israelis und Palästinensern spielt das Ensemble unter Barenboims Dirigat mit einer geradezu utopischen Würde. Wenn Musik, wie Barenboim glaubt, die „Kunst des Imaginären“ ist, dann ist in diesem israelisch-arabischen Orchester die beispielsetzende Imagination aufbewahrt, dass irgendwann das Unvorstellbare, nämlich die friedliche, gleichberechtigte Koexistenz der verfeindeten Nachbarn Wirklichkeit werde. Und weil das so ist, hat der Maestro eine Berliner Musikakademie gegründet, die das Konzept des Orchesters auf eine neue Ebene hebt.

Die Stiftung „Oper in Berlin“ überlässt der im Sommer neu gegründeten, gemeinnützigen Barenboim-Said-Akademie GmbH das ehemalige Magazin der Staatsoper. Architekten sind der Amerikaner Frank Gehry (für den Konzertsaal) und das international renommierte Architekturbüro HG Merz (Tsp. vom 14.11.). Im September 2015 werden die ersten 40 bis 60 Stipendiaten aus dem Nahen Osten ihr Studium beginnen. Ihr Curriculum umfasst nicht nur klassischen Musikunterricht, sondern ein studium generale – ganz im pädagogischen Geist des West-östlichen Divan Orchesters.

Nicht alle Studenten werden als professionelle Musiker in ihre Heimatländer zurückkehren, sondern nach Abschluss ihres Berliner Studiums in anderen Berufen ihrer nahöstlichen Gesellschaften als Erfahrungsbotschafter einer Idee von Frieden im Geist der Musik arbeiten können. Im Vergleich zum hoch problematischen deutschen Waffenexport in die Region kann es keinen besseren geben.

Ein außenpolitisches Signal? Das gewiss auch. Vor allem aber wird die Akademie ihren Teil dazu beitragen können, politische Vernunft aus dem Geist der Musik zu befördern: Nichts anderes hat die musikalische Arbeit Daniel Barenboims im Laufe der Jahre stärker motiviert und beseelt, als diese Idee. Er ist, man wagt es kaum zu sagen, ein politischer Dirigent. Zwischen Klang und Stille liegt eben nicht nur eine Ahnung des Endes oder gar des Todes, wie er glaubt, sondern auch der Zuversicht und des Lebens.

Michael Naumann, erster Kulturminister der Regierung Gerhard Schröders, ist seit dem 1. September Gründungsdirektor der Barenboim-Said Akademie in Berlin.

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