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Der kanadische Musiker Daniel Lanois.

© David Leyes

Daniel Lanois live in Berlin: Von der Wüste ins All

Rock, Dub, Country: Daniel Lanois unternimmt im Heimathafen Neukölln betörende Klangexkursionen.

Weit entfernt scheint die Welt der lärmenden Rockmusik, als eine hemdsärmelige Gestalt im Heimathafen Neukölln einen hermetischen Raum zum Wegdriften aufklappt. Dabei scheint der Kerl tief in sich hineinzulauschen, um die innere Musik dann wieder so zu entlassen, dass fast so etwas wie ein Hauch Glückseligkeit entsteht. Sounds, die sich hochschaukeln, abschwellen, verdichten und Bilder fürs Kopfkino erschaffen. Man sieht einen Cowboy einsam durchs All trudeln oder denkt an die Weite des amerikanischen Westens, die flirrende Hitze und das Summen von Telegrafendrähten, die sich in gigantische Harfen verwandeln.

Es könnte aber auch das Restrauschen einer Musikkassette von U2 oder Bob Dylan sein, die zu lange in der Sonne gelegen hat. Schließlich ist dieser Kerl Daniel Lanois, jener Produzenten-Guru, der Alben von U2, Bob Dylan, Neil Young, Willie Nelson, Emmylou Harris oder den Neville Brothers seinen eigentümlichen Stempel aufdrückte: ein flirrender Gesamtsound mit atmosphärischen Gitarrenarrangements. Daneben fielen seine eigenen musikalischen Arbeiten eher unspektakulär aus. Seit einigen Jahren scheint ihm das Leben im Schatten der Stars aber nicht mehr zu genügen und er tritt wieder verstärkt ins Licht, zuletzt mit "Black Dub" und jetzt mit "Flesh and Machine", das zum Teil an die Ambient-Projekte „On Land“ und „Apollo: Atmospheres and Soundtracks“ von Brian Eno anknüpft, der Lanois Anfang der Achtziger als Spezialisten für kunstvoll gewebte Gitarrenmuster entdeckte.

Mit dem neuen Album will der 63-jährige Kanadier „das Studio auf die Bühne bringen und neue Klangwelten erkunden“. Beim ersten Stück „Forest City“ bedient er dazu ein Mischpult und diverse Effektgeräte, mit denen er die Sounds sampelt, filtert und durch Echokammern schickt, bevor er zur Pedal-Steel-Gitarre wechselt, seiner ersten großen Liebe, die er so innig zum Wimmern bringt, das erwachsene Männer weinen müssen. Begleitet von Jim Wilson, der zwischen Bass und Moog-Synthesizer wechselt, und dem jungen Kyle Crane, der konzentriert die Trommeln rührt, stiefelt Lanois durch Soundlandschaften, die manchmal an die dubbigen Ausflüge von Massive Attack oder das groovige Jazz-Gefrickel von Four Tet erinnern. Weniger Ambient als bei Eno und keine wirkliche neue Klangwelt, aber jeder Song ist eine Welt für sich, wie Filme, die in Träumen nachwirken – eine Musik, die wild durch die Genres springt und ganz ungeniert rauen Südstaatenrock mit wuchtigem Space-Dub-Reggae und zartem Country-&-Western- Schmelz verbindet. Dabei erweist sich Lanois als begnadeter Gitarrist, dem man endlos zuhören könnte, wenn er aus einem röhrenden Blues-Riff eine süße Honigspur werden lässt und seiner Les-Paul-Gitarre Töne entlockt, die wie Fäden von Zigarettenqualm in die Luft steigen, um dann wieder himmlisch-besoffen die Akkorde hinaufzuspringen. Dazwischen singt er sich mit dem tapferen Wilson rührig durch die Herzensbrecher-Hymne „I Love You“ und bringt auch seinen kleinen Hit „The Maker“ vom Debütalbum „Acadie“ von 1989 als Solo-Nummer unter.

Die Pedal-Steel heult auf wie ein trunkener Koyote

Nach einer aufrüttelnden Hommage an den Reggae-Produzenten Lee Perry ("He is one of my heroes!"), dem nervösen Elektrobeatklopfer "Opera" vom neuen Album und ein paar Gläsern Whisky, die ans Publikum gereicht werden, endet dieses seltsam zerhauene und aufregend schöne Konzert nach knapp zwei Stunden ebenso beseelt wie es angefangen hat: Mit der Zugabe von "Congregate", einem Country-Gospel-Schunkler vom wunderbaren Rocco DeLuca, der dazu seine glockenhelle Stimme hebt, mit der er schon im Vorprogramm begeistern konnte, während Lanois nochmals die Pedal-Steel-Gitarre heulen lässt wie einen trunkenen Koyoten. Magisch, betörend, zeitlos, unbeeinflusst von allen Dingen dieser Welt und nur sich selbst wichtig nehmend. So kann der Mann und seine Maschine noch ein Weilchen weiterlaufen.

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