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Daniel Woodrells "Der Tod von Sweet Mister": Haut auf Haut

Daniel Woodrell beschwört den White Trash.

Fettsack“ nennt er seinen halbwüchsigen Sohn, und auch für seine Frau Glenda hat er nicht viel übrig. Red Akin, frisch aus dem Knast entlassen, macht mit beiden, was er will. Red ist der Fleisch und Muskeln gewordene white trash in Missouri: ein Frauenheld, Trinker und Krimineller, der Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger sein von der Strafjustiz bestimmtes Leben wieder unter Kontrolle bekommen will.

Shug, der Sohn, und Glenda mit den schwarzen Haaren und den blauen Augen bekommen das als Erste zu spüren. „Seine Bewegungen waren so schnell wie die einer Fliege“, erinnert sich Shug, aus dessen Perspektive „Der Tod von Sweet Mister“ geschrieben ist. „Er traf mich in der Magengrube, versetzte mir einen Schlag, der mich umwarf, und schaffte es noch, mir einen Hieb auf den Hinterkopf zu verpassen, bevor ich am Boden lag.“

Shug bezieht Prügel wie zuvor seine Mutter. Die beiden haben durch eine kleine Dummheit die Aufmerksamkeit der Polizei erregt, und das ist für Red ein Angriff auf ihn selbst. „Ich fahr nicht wieder ein“, sagt Red, denn seine Freiheit ist ihm alles. Freiheit zum Saufen, zum Fremdgehen und zum Einbrechen. Glenda, zumindest im Kopf und im Herzen noch ein halbes Mädchen, ist mit dabei. Sie kommt von Red nicht los.

Die brutalen Kräfte, die in Familien wirken können und Menschen aneinanderketten oder auseinandertreiben, sind das Thema des 1953 in Missouri geborenen Daniel Woodrell. Er hat es schon in seinem bewegenden Roman „Winters Knochen“ behandelt, der unter dem Titel „Winter’s Bone“ auch im Kino Aufsehen erregte. Woodrell schreibt aus der Perspektive dessen, der gesehen hat, wie solche Kräfte wirken. Wie Männer zuschlagen. Wie sich Frauen betrinken, weil sie nur so herauskommen aus einer Situation, in der sie die Schwächeren sind.

Was den Roman so faszinierend macht, ist der Sog des Bösen. Schon am Anfang ist klar, dass alles nicht gut ausgehen kann. Der „Tod von Sweet Mister“ ist so etwas wie eine Tragödie, angetrieben von einer erzählerischen Kraft, die den Leser zum Zeugen eines Verbrechens macht. Red benutzt Glenda, wenn ihm danach ist – oder wenn Glenda Shugs Erzeuger nur noch durch angesäuselte Avancen davon abhalten kann, dem Jungen Schläge zu verpassen. „Ich hörte ein Kichern, das sollte wohl lüstern sein, dann eine Gürtelschnalle … Ich konnte Haut auf Haut klatschen hören und dann dieses Stöhnen. Lieber hätte ich mich verprügeln lassen. Er machte sich lärmend und herrisch über sie her, und sie raspelte ihm keuchend beschissenes Süßholz ins Ohr.“ Red benutzt Shug, indem er ihn zwingt, in die Häuser von Schwerkranken einzubrechen. Eine von Reds Affären, eine Krankenschwester, versorgt ihn mit Tipps und Adressen. Shug wird von Red und dessen Kumpel Basil in einem ihrer heruntergekommenen Dodges oder Chevy Impalas durch die Gegend gefahren und in die Häuser getrieben.

Die Häuser und die Verhältnisse, die Shug bei seinen Einbrüchen zu sehen bekommt, sind noch um einiges trister und düsterer als sein eigenes Heim. Einmal steht er auf der Suche nach Morphium am Bett eines Kindes: „Der kranke Junge, denke ich, wusste wohl, dass ich da stand. Sein kahler, sehr kahler Kopf bewegte sich ein wenig, seine Augen gingen auf und drehten sich in meine Richtung, sahen mich, starrten mich an, dann schwand das Erkennen wieder aus ihnen, und sie schauten mich an, sahen mich aber nicht, dann fielen sie wieder zu.“

Das ist Woodrells Sprache mit ihrer Zugkraft in die Düsternis dieser Geschichte, die kaum auszuhalten wäre, gäbe es da nicht die Nähe zwischen Shug und seiner Mutter Glenda, die eher eine Mischung aus kleiner Freundin und großer Schwester für ihn ist. Was schön und gut ist an Shugs jungem Leben, hat mit Glenda zu tun, mit ihrem Witz, mit ihrer Ausstrahlung und ihrer Lässigkeit.

Die beiden pflücken Brombeeren, um sie zu verkaufen. An einem Fluss kühlen sie sich ab, planschen herum. „Sie stand auf, und man konnte den Schlüpfer unter ihren weißen Shorts sehen; der war wohl auch feucht, nehme ich an. Man sah die Hautfarbe und ein paar dunkle Flecken. Sie hatte ihre Figur behalten, und die war gut bis richtig gut. Mom sah mich einen Augenblick lang komisch an, wie sie da so feucht und halb durchsichtig in der Sonne stand, und lachte dann.“ Das kann nicht gut gehen.

Daniel Woodrell: Der Tod von Sweet Mister. Roman.

Aus dem Englischen von Peter Torberg.

Liebeskind, München 2012. 191 S., 16,90 €.

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