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Neue Perspektiven. Danielle de Picciotto in ihrem Weddinger Lager- und Atelierraum.

© Thilo Rückeis

Danielle de Picciotto: In tausend Tagen um die Welt

Weil es in Berlin zu wenig Geld für Kunst gibt, reist die Multimediakünstlerin und Musikerin Danielle de Picciotto seit drei Jahren mit ihrem Mann, dem Neubauten-Bassisten Alexander Hacke, um die Welt. Von Auftrag zu Auftrag. In ihrem gezeichneten Tagebuch "We Are Gypsies Now" beschreibt sie das kreative Nomadentum. Ein Treffen.

Eine mehrstöckige Remise im Berliner Wedding, drumherum ein großer Garten. Es gäbe Platz für einen Hund oder Blumenbeete, doch weder das eine noch das andere finden sich auf dem Grundstück von Danielle de Picciotto und Alexander Hacke. Die beiden bedauern das, aber sie sind einfach zu selten daheim, um sich um Tiere oder Pflanzen zu kümmern. Mit ihren Kunst- und Musikprojekten reisen sie ständig durch die Welt. Und wenn sie erschöpft zurück nach Berlin kommen, reicht die Kraft gerade noch fürs TV-Serien-Schauen.

Dass es so nicht weitergehen kann, wird dem Paar schlagartig klar, als es nach einer einmonatigen Tournee durch Kanada seine Gage in bar ausbezahlt bekommt. „Das komplette Geld musste aufs Konto einbezahlt werden, um unsere laufenden Kosten zu decken – für einen Ort, an dem wir nie sind“, erinnert sich die in den USA geborene und seit 1987 in Berlin lebende Danielle de Picciotto. Um diese absurde Situation zu beenden, hecken die beiden einen wagemutigen Plan aus: Das Haus aufgeben, alle Besitztümer loswerden, die ihnen nicht wirklich wichtig sind, und 18 Monate lang um die Welt reisen. Jeder Aufenthalt soll etwa zwei Monate dauern und mit Arbeit ausgefüllt sein. Auf diese Weise möchten sie einen neuen Wohnort finden.

Das im Sommer 2010 beginnende Reise-Abenteuer hat die Musikerin und Multimediakünstlerin in einem Graphic Diary festgehalten, einem gezeichneten Tagebuch. Es ist gerade unter dem Titel „We Are Gypsies Now“ im Berliner Metrolit Verlag erschienen. Ganzseitige Schwarz-Weiß-Zeichnungen, die oft von verspielten Mustern umrahmt werden, zeigen Stationen wie Wien, Prag, Mexiko und verschiedene Städte in den USA. Mal porträtiert Danielle de Picciotto Menschen, die ihnen begegnen, mal skizziert sie den Grundriss ihres jeweiligen Heimes, mal zeigt sie Stadt- oder Landschaftsansichten.

Ein eindrucksvoller Abschnitt dokumentiert die Tournee der Einstürzenden Neubauten, deren Bassist Alexander Hacke ist. In jeder Stadt gibt es neben den Shows der Band auch einen Abend mit den Soloprogrammen der einzelnen Mitglieder. Hier stehen Danielle de Picciotto und ihr Mann gemeinsam auf der Bühne und spielen die Songs ihres Projektes Hitman’s Heel. Beim ersten Auftritt zeichnet sie sich mit tränenüberströmtem Gesicht hinter dem Keyboard. „Ich stehe unter Schock, es war ein Albtraum: Drummer betrunken, fürchterlicher Sound auf der Bühne, ich kann außer lauter Gitarre nichts hören, jede Menge Fehler gemacht, hab mich Scheiße gefühlt. Das einzig Gute: Ich konnte mich an all meine Texte erinnern, obwohl ich meine Stimme nicht hören konnte,“ notiert sie. Alexander Hacke sagte dazu nur: „Gewöhn dich dran.“ Eine neue Herausforderung ist auch das ununterbrochene Zusammensein mit dem Partner. „Man darf nicht auf den anderen fixiert sein, sonst geht man sich irgendwann an die Gurgel. Das hatten wir auch mal, in Prag, wo die Umgebung laut und stressig war,“ erzählt sie. Deshalb hat das seit 2006 verheiratete Paar sich einige strenge Regeln gesetzt. Jeden Morgen wird eine halbe Stunde meditiert, dann rund zwei Stunden Sport getrieben und anschließend acht bis zehn Stunden gearbeitet. Meist mit Kopfhörern oder in getrennten Räumen, um sich gegenseitig nicht zu stören. Urlaub haben die beiden nie, ein Ruhetag in der Woche muss reichen. Und Alkohol ist nur an drei Tagen erlaubt.

Mit Dr. Motte organisierte sie die erste Love Parade

Neue Perspektiven. Danielle de Picciotto in ihrem Weddinger Lager- und Atelierraum.
Neue Perspektiven. Danielle de Picciotto in ihrem Weddinger Lager- und Atelierraum.

© Thilo Rückeis

Danielle de Picciotto sitzt in einer ehemaligen Weddinger Feuerwache, die mittlerweile Künstlerateliers beherbergt. Hier zeichnet sie, wenn sie in Berlin ist, und hier sind die Sachen eingelagert, die sie und Alexander Hacke dann doch behalten wollten. Bis unter die Decke stapeln sich die Kisten, ein Instrumenten-Koffer und eine Stehlampe mit weißem Schirm sind zu sehen. An der Wand lehnen Gemälde und Zeichnungen. Einige sehr bunte, großformatige Leinwände sind darunter – eine Ausdrucksform, auf die die Malerin inzwischen ganz verzichtet. Ihr Lebensstil beeinflusst ihren künstlerischen Stil: Sie hat sich auf detailreiche Tintezeichnungen spezialisiert, die Formate sind kleiner geworden. Denn Papier und Stift passen in jedes Reisegepäck.

„Das Eingeschränktsein und die Disziplin haben uns sehr verändert. Man wird flexibler. Und materielle Dinge bedeuten weniger. So ist uns etwa die Lust shoppen zu gehen, völlig abhanden gekommen,“ sagt De Picciotto, die in New York Kunst und Modedesign studiert hat. Sie sei heute gelassener und glücklicher als vor dem Start ihres bis heute andauernden Nomadentums. Die Rückenschmerzen sind verschwunden, ebenso das Gefühl der Machtlosigkeit, das sie seit 2005 begleitete. „Ich hatte in Berlin so viel probiert, zahllose Ausstellungen und Projekte organisiert. Eingebracht hat das nie etwas und angestoßen wurde auch nichts. Es war total deprimierend“, erinnert sie sich. Berlin sei ein inspirierender Ort, den sie liebe, nur wolle hier niemand für Kunst bezahlen. Früher habe sie bei Ausstellungen noch zwei Drittel ihrer Bilder verkauft, heute könne sie froh sein, wenn ein einziges Werk einen Käufer findet. Ihren Künstlerfreunden gehe es ähnlich.

In ruhigem Ton spricht sie auch über ihre Enttäuschung durch die Berliner Politik. Es gehe nicht darum, subventioniert zu werden, doch „irgendeine Form der Unterstützung, für die Leute, die der Stadt viel Geld eingebracht haben“, hätte sie sich schon gewünscht. In der Tat hat Danielle de Picciotto, deren Mutter Deutsche ist, seit Ende der Achtziger eben jene Berliner Underground-Szene mitgeprägt, die den Ruf der Stadt als spannend-verrückte Kreativmetrople begründete. Sie machte erst Mode, später Musik und Multimediakunst. Zusammen mit ihrem damaligen Freund Dr. Motte organisierte sie die ersten Ausgaben der Love Parade, führte Dimitri Hegemanns Mitte-Galerie Das Institut und arbeitete praktisch in jedem coolen Club vom Ex’n’Pop über das 90° und das E-Werk bis hin zum Tresor. „Während der ersten Jahre nach dem Mauerfall hatte ein Barkeeper fast denselben Status wie ein Popstar“, schreibt sie in ihren Berlin-Erinnerungen „The Beauty of Transgression“. Es galt als Ehre in einem populären Club zu arbeiten. Dass Künstler und Musiker hinter der Bar standen, erzeugte „einen Insider-Ruf, der für Jahre anhielt“.

Doch ab 1995 will Danielle de Picciotto nicht mehr nachts arbeiten, sich ganz auf ihre künstlerische Arbeit konzentrieren. Alexander Hacke hat seine Club-Jobs ebenfalls aufgegeben. „Selbst wenn man nur drei Tage nebenbei jobbt, nimmt einem das die Energie, die man braucht, um in der Kunst eine gewisse Qualität zu haben“, sagt De Picciotto. Sie und Hacke sind Jahrgang 1965 und wollen keine Kompromisse mehr eingehen. Bevor sie wieder nebenbei arbeiten – wie die Mehrzahl ihrer Kolleginnen und Kollegen – geben sie die Kunst lieber ganz auf, werden Schwimmlehrer oder Konditorin, wie De Picciotto halb im Scherz erzählt. Noch ist es nicht soweit: Bis nächstes Jahr hat das Paar Aufträge in diversen Städten. Danach würden es gern wieder sesshaft werden, denn das Unterwegssein tut der Gesundheit nicht gut. Auch Berlin darf sich leise Hoffnungen machen, dass die beiden zurückkehren. Denn auf einen neuen Traumort sind sie bisher nicht gestoßen.

Danielle de Picciotto: We Are Gypsies Now. Der Weg ins Ungewisse. Graphic Diary. 208 S., 22,99 €. Buchpräsentation: Do 25.4., 20 Uhr, Fluxbau, Pfuelstr. 5

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