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Ekstatiker. Der Pianist Daniil Trifonov.

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Daniil Trifonov in Berlin: Rausch und Absturz

Daniil Trifonov ist der Ekstatiker unter den Pianisten. Jetzt trat der 1991 geborene Russe in Berliner Kammermusiksaal auf.

Zu berichten ist von einem Ereignis: Daniil Trifonov spielt im ausverkauften Kammermusiksaal Klavier. Der 1991 Geborene stammt wie Igor Levit aus Nischni Nowgorod, und handelte es sich hier nicht um zwei so exorbitant starke Bäume – wie sie niemals nah beieinandergepflanzt werden dürfen –, so würde man fast vorschlagen, die beiden sollten doch einmal vierhändig spielen. Aber das ist natürlich Unsinn.

Warum also ein Ereignis? Weil Zuhören nie anstrengender war, weil nie jemand es mit solcher Gewalt erzwungen hat wie Trifonov es nun tut, mit Schumanns „Kinderszenen“. Man hört fast blödsinnig zu, wie er ein gläsernes Netz über die „Fremden Länder und Menschen“ legt; wie kunstvoll er das Pedal einsetzt; wie beiläufig er im „Hasche-Mann“ Virtuosität hervorblitzen lässt. „Glückes genug“ spielt er mit einer Zufriedenheit, die schon nach Biedersinn duftet, dem „Kind im Einschlummern“ legt er ein Bassgewölk zu Füßen, in das man sich gleich mit hineinlegen möchte. Und dann erst – es klingt nach nichts und ist doch alles – der letzte Basston unter „Der Dichter spricht“! Super geführte Akkorde, ein sensationeller Endpunkt.

Wie will er dieses Niveau halten? Ist Trifonov ein Genie? Da kommen wir zur Kehrseite des Abends. Denn das Ereignishafte besteht auch darin, dass er Rausch und Absturz gleichermaßen zeigt. Anders gesagt, spielt sich Trifonov nach diesem Entrée mit Schumanns „Toccata“ in eine große, elektrische Erregung, und als er von dort aus in die „Kreisleriana“ stürzt, ist seine Verausgabung so total geworden, dass er am Klavier verloren geht in Technik und Exaltation. Für einen Moment ist das sehr unangenehm, fast so, als ob man einem Betrunkenen dabei zusähe, wie er um die Laternen torkelt.

Jugend darf sich an sich selbst berauschen

Ein böses Bild! Daniil Trifonov ist jung, und es ist ein Privileg der Jugend, dass sie sich an sich selbst berauschen darf. Aber dieser Umschlagpunkt prägt den Abend, und es dauert, bis sich der Pianist wieder fängt, die ruhigen Stellen der „Kreisleriana“ mit Bedeutung füllen und die choralartigen Passagen von innen leuchten lassen kann. Bizarrerien sind seine Spezialität; unvergleichlich, wie er die Mikro-Strudel in der fünften Nummer ausbreitet und für das „Mit aller Kraft“ in der achten quasi aufsteht, um das Klavier zu zerteilen.

Nach der Pause spielt Daniil Trifonov eine Auswahl aus Schostakowitschs Präludien und Fugen. Diese Musik kommt ihm sehr entgegen, seinem Gespür für Rhythmus, dem Können als Pedalist, der Gabe, Innigkeit zu exerzieren wie eine religiöse Übung. Strawinskys hypervirtuose „Pétrouchka“-Musiken schließlich zeugen wie die Zugaben von einem Kräftereservoire, das noch lange nicht ausgeschöpft ist, bedeuten aber auch eine so dramatische Akkumulierung von Tonscherben und Tonsplittern, dass sie schon wieder Ennui hervorruft.

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