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Nena 2016 anlässlich einer Promotion für die TV-Sendung „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert.“

© Klaus-Dietmar Gabbert, picture alliance / dpa

„Danke Kassel“: Was will Nena mit ihrem Dank an die Querdenker?

Ist Nena jetzt eine Querdenkerin – oder trifft der Star der Achtziger ein wachsendes Ohnmachtsgefühl in der Gesellschaft?

Die Intelligenz der Masse, falls es sie gibt, zeigt sich am ehesten im Pop. Denn was viele Menschen abfeiern und immer wieder freiwillig zu einem Teil ihres Lebens machen, kann noch so dämlich und simpel sein, es gewinnt seine eigene Klugheit dadurch, dass es Gefühle entfesselt und ihnen eine Richtung gibt.

Das ist ein machtvoller Effekt, der jene, die ihn auslösen, zu Stars macht.

Nena ist ein solcher Star. Als sie 1982 im Minirock und mit knallrot geschminkten Lippen vor das Fernsehpublikum des „Musikladen“ trat, ihre Band im Hintergrund, und „Nur geträumt“ sang, da war es um Deutschland geschehen.

Eben noch gebeutelt von Nato-Doppelbeschluss, Atomraketen und dem Dafür oder Dagegen verknallte sich das Land in eine junge Frau aus Hagen, die zu den zackigen Beats der Neuen Deutschen Welle an nichts anderes denken konnte als an ihre heimliche Liebe: „Ich hab’ heute nichts versäumt / Denn ich hab’ nur von dir geträumt.“

Der Sommer ’82 war Nenas große Zeit

Man kann mit Starruhm bedeutend schlechter umgehen als Nena Kerner, die seither einiges gemacht hat, aber nie wieder auch nur annähernd so sehr mittendrin war wie in diesem Sommer ’82. Sie legte es auch nicht darauf an, wollte nichts anderes aus sich machen, als was sie war.

Nena bei einem Auftritt im „WWF-Club“ in Köln.
Nena bei einem Auftritt im „WWF-Club“ in Köln.

© Hans Dürrwald/dpa

Umso mehr bringt nun eine Botschaft der 60-Jährigen Unruhe, die sie über ihr Instagram-Profil verbreitet. Zu sehen: Bilder von der Querdenker-Demo des vergangenen Wochenendes, versehen mit den Worten „Danke Kassel“. Da der Clip mit Musik von Xavier Naidoo unterlegt ist, dankt Nena auch ihm.

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„Danke Kassel“. Zwei Worte. Die mediale Aufregung ist groß. Schlägt sich Nena jetzt endgültig auf die Seite der Verschwörungsideologen, zu denen man den selbsterklärten ,Savior’ seit längerem schon zählen muss?

Bisher hat Nena sich nicht zu ihrer Botschaft geäußert

Was reitet die Tochter eines Latein- und Sportlehrers und mittlerweile selbst mehrfache Großmutter, sich mit 20000 Menschen zu solidarisieren, deren Aufmarsch am Wochenende von der Polizei wegen massiver Verstöße gegen die Corona-Auflagen aufgelöst werden musste?

In der sich eine wilde Mischung aus Anarchisten, Rechtsradikalen, Reichsbürgern, National-Esoterikern, Anthroposophen, Corona-Leugnern und Bürgerlichen wiederfindet, die sich gegängelt und entrechtet fühlen und Gewalt nicht scheuen.

Erklärt hat sich Nena öffentlich bislang weiter nicht. Vermutlich wären entsprechende Versuche ihrerseits auch wenig hilfreich. Nicht, dass Nena sich mit ihrer direkten, unverstellten Art, die sie oft selbst überrascht, nicht sehr gut verständlich machen könnte. Aber ein bisschen neben der Spur und notorisch verpeilt ist sie schon auch, was ein herzhaftes Lachen in Interviews überblendet.

„Panikmache von außen“

Der Popstartrick ist ja gerade, sich nicht allzu deutlich zu erkennen zu geben. Das schaffen auf Dauer nur die, die sich eingerichtet haben im Bodennebel ihres Wesens.

Als Nena im vergangenen Oktober schon einmal mit einem Instagram-Video für Irritationen sorgte, da sprach sie von ihrem „tiefen Glauben an Gott“ und ihrem „Vertrauen ins Leben“. Nichts könne sie erschüttern.

„Und ich habe meinen gesunden Menschenverstand, der die Informationen und die Panikmache, die von außen auf uns einströmen, in alle Einzelteile zerlegt. Und so ist es mir möglich, mich nicht hypnotisiert von Angst in die Dunkelheit ziehen zu lassen.“

Ihre Mitmenschen rief sie auf, „lasst uns ins Licht gehen ..., denn trotz allem Wahnsinn, den wir hier erleben, glaube ich und weiß ich, dass der positive Wandel nicht mehr aufzuhalten ist.“ Alles klar?

Man sähe gewisse Cornoa-Maßnahmen „einigermaßen kritisch“

Das Video zeigte eine Frauengestalt, die eine große weiße Fahne ins Gegenlicht der Sonne hielt. Klar war gar nichts. War das als Aufruf gegen die Anti-Corona-Maßnahmen der Regierung zu verstehen? Oder war es ein Appell, sie zu befolgen und seinen Seelenfrieden lieber in einer spirituellen Dimension zu suchen?

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Das Management der Künstlerin erklärte auf Anfrage von „Bild“, dass man gewisse Maßnahmen der Eindämmungsverordnung „einigermaßen kritisch“ sehe. Die Maskenpflicht für Kinder etwa und dass Sterbende von ihren Angehörigen nicht besucht werden dürften. Angst sei kein guter Ratgeber, so das Motto.

Davon mag man halten, was man will, doch wenn jemand auf Ängste zu reagieren weiß, dann Nena. Auf dem Debütalbum von 1983 fand sich neben „Nur Geträumt“ auch jenes andere Lied, das sie noch berühmter hat werden lassen – ein apokalyptischer Song über Luftballons, die in den Himmel aufsteigen, und Düsenjets, die ihnen nachgeschickt werden, und Kriegsministern, die das ganze zu einem Bündnisfall erklären. Nach 99 Jahren Krieg liegt die Welt in Trümmern.

„99 Luftballons“ – eine Hymne panischer Zeiten

Diese Vision einer in Panik zugrundegehenden Welt entsprach damals ziemlich exakt dem Bild, das sich die Jugend (Null-Bock-Generation) von ihrer Zukunft machte. Welchen Platz würde sie einnehmen können in einer Welt der Abschreckung, der kollektiven Angst?

Der Kalte Krieg zeigte seine Klauen, und „99 Luftballons“, geschrieben vom Keyboarder und vom Gitarristen der Band, wurde die Hymne panischer Zeiten. Eine Art Friedenslied, das seinen Anspruch über Grenzen hinweg anmeldete und bis heute bei keiner Party in den Studentenwohnheimen der Republik fehlen darf.

Sollte sie es irgendwann selbst wieder spielen können, so hat Nena versprochen, dass es bei ihren Konzerten „keine Zweiklassengesellschaft“ in Geimpfte und Ungeimpfte geben werde. Jeder dürfe kommen. „Ob du dich impfen lässt, ist allein DEINE Entscheidung und muss von jedem respektiert werden“, schrieb sie im Februar auf Instagram.

Nena und ihre Mitstreiter:innen bei der Schulgründung in Hamburg.
Nena und ihre Mitstreiter:innen bei der Schulgründung in Hamburg.

© Ulrich Perrey dpa

Dass Nena, fünffache Mutter, die ihr erstes Kind im Säuglingsalter verlor, eher auf die Selbstheilungskraft des Körpers setzt als auf medizinische Intervention, zeigte bereits ihre Haltung zur Masern- Schutzimpfung. Die sie ablehnt. Zuvor hatte ihr antiautoritärer Gestus sie eine freie Schule in Hamburg gründen lassen, deren Konzept einer Kinderdemokratie nicht minder polarisiert.

So spricht Nena heute für ein vom Staat radikalisiertes alternatives Millieu, das sich in Impfdebatten und pädagogischen Diskussionen um kindergerechtes Lernen zunehmend belächelt fühlt. Seine Freiräume schrumpfen. Während Umweltschutz und Klimarettung längst in die Hände der Techniker gefallen sind, klammert es sich nur umso fester an sein naturnahes Lebensideal.

Jeanne d’Arc der Luftballons

Es ginge wohl zu weit, Nena konkrete politische Absichten zu unterstellen. Mit Xavier Naidoo fühlt sie sich künstlerisch verbunden, was auf ihre gemeinsame Teilnahme an „Sing meinen Song“ 2016 zurückgeht.

Sich von dem Sänger loszusagen nach seinen antisemitischen Anspielungen in dem Song „Raus aus dem Reichstag“ und dem Geschwafel vom „Unrechtssystem“, verbietet ihr offenbar ein freundschaftlicher Ehrenkodex, dem auch andere Kollegen erlegen sind.

Wollen wir annehmen, dass sie darüber hinaus einfach keinen Sinn für die Folgen hat, die eine Huldigung Naidoos als geistigem Initiator der Querdenker-Demo haben muss. Ein bisschen naiv ist Nena nämlich schon auch.

In der Rüstung einer Jeanne d’Arc der Luftballons hat sie mit ihrem Dank an Kassel eine symbolische Geste des Widerstands initiiert, die ihre Wirkung abermals über Grenzen hinweg entfalten soll.

Am Horizont wartet diesmal das Versprechen, dass gesellschaftliche Opposition jenseits der Muster von Links und Rechts funktioniert. Das ist der neue politische Traum und eine Antwort auf die dämmernde Merkel-Ära.

Wie die Kanzlerin ihre Macht durch die Einverleibung gegnerischer Positionen über ihr Verfallsdatum hinaus abgesichert hat, so sucht eine außerparlamentarische Strömung nach dem breiten Konsens, der den Schwarm anwachsen lässt. Es ist ein Konsens des Gefühls. Um die Faxen dicke zu haben, braucht es derzeit nicht mal einen Song.

Erstmals seit der Wende mit autoritärem Staat konfrontiert

Obwohl ein solcher helfen würde. Vor allem seiner aufbauenden Wirkung wegen. Aber dergleichen gibt es derzeit nirgends. Die allgemeine Freudlosigkeit steuert angesichts einer nun auch mit sich selbst uneinigen Kanzlerin einem österlichen Tiefpunkt zu.

Hadern die Deutschen traditionell doch besonders heftig mit Widersprüchen, die sich aus Regelungen ergeben. Ihr liebster Ordnungsphilosoph Immanuel Kant versuchte den Konflikt aus Freiheiten und Pflichten bekanntlich „kategorisch“ zu lösen, aber sein Schlichtungsbemühen hat sie nicht friedlicher gemacht.

Mit den starken Durchgriffsrechten des Seuchenschutzgesetzes, die nun zur Anwendung kommen, sehen sich viele Deutsche entweder zum ersten Mal überhaupt oder zum ersten Mal seit der Wende mit einem autoritären Staat konfrontiert.

Statt seine Macht wie gewohnt in der Anpassung von Steuersätzen auszuleben, greift er massiv in das Privatleben der Bürger ein und schreibt Familien sogar vor, zu wie vielen Personen sie sich treffen können.

Beim Protest zählen Argumente nicht

Nach einem Jahr, in dem das nun so geht, ist das Reservoir an Resilienz ausgeschöpft. Selbst „die Vernünftigen“ wissen nicht mehr, was sie fühlen sollen.

Das ist der Nährboden eines Protests, dem es um Argumente gar nicht geht, weil diese von den Mühlsteinen der täglichen Verordnungslogik zerrieben werden. Die Regierung argumentiert zwar nicht zu Unrecht wie in einem Krieg, einem kalten, in dem es diesmal den Virus-Feind zurückzudrängen gilt.

Da sich bis jetzt 3,3 Prozent der Bevölkerung nachweislich infiziert haben, ist der Gegner in etwa so abschreckend, wie es die Angst vor der „roten Flut“ 1982 war. Und eine wie Nena lässt einen Luftballon fliegen.

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