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Kultur: Dann gehen wir eben

„Based in Berlin“: eine Studie über die Kunstszene der Stadt – und eine Gegenausstellung

Die durch die Ausstellung „Based in Berlin“ angeheizte Debatte um den Berliner Umgang mit Kunst wird zunehmend konstruktiv. Gestern stellte das Wittener Institut für Strategieentwicklung im Postfuhramt den zweiten Teil einer Studie zur Situation bildender Künstler vor (www.studioberlin.ifse.de). 63 Prozent der 465 ausgewerteten Teilnehmer sind weiblich. Genauer: Junge Jahrgänge zählen mehr Frauen, unter den Etablierten sind mehr Männer. Dabei erwies sich, dass Jüngere sich eher wieder der Malerei zuwenden. Nur 13 Prozent leben vom Kunstverkauf, genauso viele werden von Familie und Freunden gefördert.

Nicht ganz so überraschend als Ergebnisse: Künstler wählen Berlin wegen der lebendigen Szene, der Atmosphäre und günstiger Mieten. Wegziehen würden sie denn auch wegen steigender Kosten und schwindender Räume, wie es im Prenzlauer Berg rasant geschieht. In Hamburg hat die Szene kommunale Maßnahmen erpresst – mit der Drohung, nach Berlin zu ziehen. Hergen Wöbgen vom ifse und sein Team empfehlen deshalb mehr Förderung für Ateliers und freie Projekträume, stärkere Unterstützung der Vielfalt statt zentraler Projekte wie einer Kunsthalle und mehr Praxisbezug in den Hochschulen.

Bernhard Kotowski vom Berufsverband Bildender Künstler Berlin erklärte dazu: Was die Stadtentwicklung versäumt habe, könne keine Kulturförderung kompensieren. Er erinnerte an den Wegfall der Künstlerförderung. 70 Prozent der Künstler lebten von weniger als 12 000 Euro im Jahr. Die meisten verzichten aber auf Arbeitslosengeld, weil Hartz IV sie von der Arbeit abhält. An Künstlern zeigten sich die Folgen neoliberaler Sozial- und Wirtschaftspolitik wie im Brennglas.

Am Vorabend hatten die Gründer der Künstlerinitiative „Haben und Brauchen“ bei einer Diskussion erschüttert von Gesprächen mit Senatsvertretern berichtet: „Die haben überhaupt keine Vorstellung davon, wie Kunst produziert wird.“ Nicht die Kunstszene, der Senat benötigt also Entwicklungshilfe. Dort will man nun einen „Kunstplan“ nach Vorbild des „Tanzplans“ der Bundeskulturstiftung entwerfen. Die Studie bietet eine wichtige Vorlage. Sie macht anschaulich, welch herausragende unternehmerische Leistungen gerade prekär lebende Kulturproduzenten erbringen – müssen. Kolja Reichert

Der Ort ist ideal für eine Gegenausstellung, die sogenannte Kunsthalle am Hamburger Platz. Eine Kunsthalle war es auch, die sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit gewünscht hatte. Er musste die Pläne begraben und initiierte dafür die Überblicksschau „Based in Berlin.“ Die Ausstellung in Weißensee sieht sich als „notwendige Ergänzung“. Und nennt sich trotzig „Leistungsschau“. So hatte Wowereit sein Projekt anfangs auch genannt. Kränze werden dem SPD-Mann in der Weißenseer Ausstellung nicht geflochten. Auch wenn der Besucher von überdimensionalem Blumenschmuck empfangen wird. „Alles Gute zur Leistungsschau, Klaus Wowereit“, steht auf dem Seidenband, das sich über die Blüten spannt, geschrieben. Die Kunsthochschule Weißensee hatte zu einem Open Call aufgerufen – anders als bei „Based in Berlin“ wird alles tatsächlich ausgestellt.

Insgesamt 441 Künstler haben sich beteiligt, nur ein Bruchteil studiert noch. So wandert der Blick an kleinformatigen Bildern entlang, umkreist Installationen im Miniformat und handliche Skulpturen. Die Ausstellung sollte eine echte Bestandsaufnahme der Berliner Szene sein, niemanden ausschließen. Hier versammelt sich allerhand von unterschiedlicher Qualität. Obligatorische Öl-Miniaturen von Berlins Skyline dürfen nicht fehlen, Kitsch und Fades auch nicht. Und dann wäre da auch noch viel Humorvolles, Spielerisches. Das hat diese Weißenseer Leistungsschau mit der im Monbijoupark gemein. Michael Otto hat ein Vogelhäuschen aus Knäckebrot gebaut. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis die Vögel sich den eigenen Boden unter den Füßen wegpicken. Geborgenheit und Schutzlosigkeit liegen hier nah beieinander.

Das Haus ist eine Metapher für die eigene unsichere Künstlerexistenz. Jörg Lange hat einen kleinen Zeitungsausschnitt eingereicht, er listet die gefragtesten Künstler der Welt im Jahr 2005 auf. Das Magazin „Capital“ hat sie ermittelt, an erster Stelle steht Gerhard Richter. An elfter Stelle hat sich Lange handschriftlich dazugesetzt und thematisiert so die Unsinnigkeit solcher Rankings. Das Nomadenleben der Künstler – heute Berlin, morgen woanders – klingt bei Johanna Smiateks Koffer-Objekt an. Durch ein Guckloch erspäht der Besucher im Inneren ein Bett und ein ordentlich abgestelltes Paar Schuhe.

Die Kunsthalle war zu DDR-Zeiten eine Kaufhalle. Zehn Jahre lang nutzten sie die Studenten der Bildhauerei als Atelier. Nun sind sie in einen Neubau auf den wenige Schritte entfernten Campus umgezogen. Seit letztem Jahr wird das eingeschossige Gebäude als Ausstellungsort der Hochschule genutzt, zurzeit unter der Leitung zweier Gastprofessoren, Thaddäus Hüppi und Markus Wirthmann. Während der „Leistungsschau“ findet hier außerdem ein Vortragsprogramm zu Karriereplanung und (Über-)Lebensstrategien statt. Auch das gehört zur Realität, zu Berlin und seinen Künstlern und der Leistungsschau, wenn man sie wortwörtlich nimmt. Künstler zu sein und davon leben zu können ist eine Leistung. Anna Pataczek

Kunsthalle am Hamburger Platz, bis 30.6.; Di–So 14–20 Uhr. Bis Do., 23.6., jeweils um 19 Uhr Vorträge und Diskussion. Mehr Informationen unter http://kunsthalle.kunsthochschule-berlin.de

Kolja Reichert

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