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Kultur: Das älteste Kino der Welt

SONDERVORFÜHRUNG Diese Höhlenmalereien sind 30 000 Jahre alt: Werner Herzogs „Cave of Forgotten Dreams“ – ein außergewöhnliches 3-D-Erlebnis

Der Höhlenforscher, der auf einer prähistorischen Fünfton-Elfenbeinflöte „The Star-Spangled Banner“ bläst. Der Parfümspezialist, der Eingänge zu weiteren Höhlen am Geruch erkennen möchte. Der Leiter des Forschungszentrums, der so begeistert seine selbst gebaute Speerschleuder vorführt, dass er kaum zum Gespräch zurückkehren möchte. Werner Herzog wäre nicht Werner Herzog, wenn er nicht auch in der seriösen Wissenschaftswelt überall Freaks und Fantasten aufspüren würde. „Cave of Forgotten Dreams“, Herzogs Exkursion in die Welt der Höhlenforscher, ist ein Berlinale-Höhepunkt besonderer Art. 3-D-Fans, Höhlenforscher und Herzog-Anhänger bringt er zum Schwärmen. Zusammengenommen ist das eine ziemlich große Zielgruppe.

Es begann alles mit einem Buch, das der kleine Werner im Schaufenster einer Buchhandlung entdeckte, erzählt der Regisseur, der gerade in Texas einen Film über Todeskandidaten im Hochsicherheitstrakt dreht und deshalb nicht nach Berlin kommen konnte, am Telefon. Auf dem Cover war ein Pferd aus der berühmten Höhle von Lascaux. Woche für Woche sei er zum Buchladen gelaufen, ob das Buch noch da sei, habe sein Taschengeld gespart und es endlich stolz erstanden. Das sei damals, mit zwölf, sein spirituelles Erwachen gewesen. Das Buch besitzt er noch: „Aus heutiger Sicht ist das ein billig gemachtes populärwissenschaftliches Machwerk“, sagt Herzog. Doch das Staunen, das Schaudern von damals spürt er noch heute.

Als 1994 die Botschaft um die Welt ging, Forscher hätten im Tal der Ardèche eine Höhle mit Malereien gefunden, die doppelt so alt seien wie alles, was bislang an figürlicher Darstellung bekannt war, war Werner Herzog elektrisiert. Doch erst der Bericht einer Reporterin des „New Yorker“, die 2008 vergeblich versucht hatte, in die Höhle zu gelangen, ließ den Plan reifen, einen Film über die Höhlenmalereien von Chauvet zu drehen. Der Zugang ist nur einem kleinen Team von Wissenschaftlern gestattet, und auch das nur wenige Wochen im Jahr. Der französische Kulturminister Frédéric Mitterrand, bekennender Herzog-Fan, musste intervenieren, damit der Regisseur die einmalige Gelegenheit bekam, eine Woche lang in der Höhle zu drehen, mit Mini-Team und strikten Auflagen. Seine Bilder werden wohl auf lange Zeit das Beste sein, was man von der Höhle und ihrer Malerei sieht.

Schnell war Herzog klar, dass er für dieses Projekt 3-D benötigt. „Von den Bildbänden, die es über die Höhle von Chauvet gibt, dachte man, die Bilder seien auf die flache Wand gemalt“, erzählt der Regisseur. „Ich war total überrascht, dass da tiefe Nischen und Ausbuchtungen sind, welche die Künstler verwendet haben, um Pferde und Nilpferde plastisch zu gestalten.“ Gerade bei dieser ruhigen Dokumentation, die nicht viel mehr tut, als wieder und wieder die Kamera über die Höhlenmalereien zu führen und das Spiel des Lichts und der Schatten auf ihnen zu beobachten, erweist sich 3-D überzeugender als bei vielen Actionfilmen. Die Kamera fährt über den Boden mit seinen Knochenresten, die durch jahrtausendelange Carbonit-Ablagerungen überkrustete Oberfläche erscheint zum Berühren nah, Lichtblitze tanzen darüber, während der Raum im Dunkel verdämmert. Er werde nie wieder in 3-D drehen, hat Herzog erklärt. Für dieses eine Mal hat er das richtige Mittel gewählt.

Die Malereien: Bilder von Pferden und Löwen, Nashörnern, Bisons, Vögeln und Spinnen. Außergewöhnlich lebendig und gut erhalten. Man habe, erzählt Herzog, bei der Entdeckung erst gedacht, die Bilder seien gefälscht, bis man Kalkablagerungen auf ihnen fand, die tatsächlich 30 000 Jahre zurückzudatieren sind. Die Krallenspur des längst ausgestorbenen Höhlenbären an der Wand, ein Fußabdruck eines achtjährigen Jungen und der eines Wolfes daneben – muss man erklären, was Herzog, der einen Film über Menschen, die mit Grizzly-Bären zusammenleben, gedreht hat, an dem Thema fasziniert? Und doch ist er Mystiker genug, mit raunender Stimme immer wieder Fragen nach dem Ursprung alles Menschlichen zu stellen. Die mühevolle Forschungsarbeit, die unzählige Daten über die Höhle zusammenträgt, vergleicht er mit dem Telefonbuch von Manhattan: „Vier Millionen Einträge, und doch weiß man nicht, was denken die Menschen, was träumen sie in der Nacht?“ Was träumten die Menschen vor über 30 000 Jahren?

Man solle besser nicht vom „homo sapiens“ sprechen, dazu wisse der Mensch noch zu wenig, erklärt ein Forscher. Besser, man spreche vom „homo spiritualis“. Ein solcher ist Werner Herzog. Und er wäre nicht Herzog, wenn er seinem Film nicht einen echt Herzog'schen Epilog beigesellen würde: Durch den Heizwasserüberschuss eines Atomkraftwerks an der Rhone entsteht in unmittelbarer Nachbarschaft der Höhle ein Tropenpark, in dem Krokodile gezüchtet werden, darunter auffällig viele Albinos. Da sind sie wieder, die Reptilien, die schon in „Bad Lieutenant“, Herzogs Film von 2009, die menschliche Seele verkörpert hatten. „Sind wir nicht wie Krokodile, die über einen Abgrund an Zeit auf diese Höhlenmalereien blicken?“, fragt der Regisseur. Eins der Krokodile sei übrigens gerade ausgebrochen, erzählt Herzog vergnügt. Ob es wohl bis zur Höhle kommt?

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