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Rasanter Sturz. Cynthia Micas in der BE-Aufführung "Gott ist nicht schüchtern"

© Britta Pedersen/dpa

Das BE startet in die neue Saison: Laura Linnenbaums Stück „Gott ist nicht schüchtern“

Teufels Beitrag: Das Berliner Ensemble beginnt mit einer Adaption von Olga Grjasnowas Roman „Gott ist nicht schüchtern“ die neue Saison.

Die Stadt hat sich verändert. „Winzige Lebensmittelläden mussten schließen und wurden als ,Zara’ oder ,Benetton’ wiedereröffnet; Bäckereien machten Cafés Platz, in denen Cappuccino mit Sojamilch zu europäischen Preisen serviert wird; ehemalige Gemischtwarenläden, in denen man schlicht alles kaufen konnte, vom Schraubenzieher bis zum Benzinkanister, mussten Handyläden weichen“. So sieht es aus in Damaskus, anno 2011.

Allerdings ist die Gentrifizierung nicht das Übel, das die Menschen zu Demonstrationen auf die Straße treibt. Vielmehr haben sie die Willkür der Geheimdienste satt, die allgegenwärtige Korruption, die noch viel omnipräsentere Selbstfeier des Assad-Clans. Davon will sich eine junge syrische Generation befreien, die sich auf Facebook zu Demos und anarchischen Aktionen verabredet – wie etwa, Unmengen von Pingpong-Bällen vors Parlament zu schütten. Ein Hauch von Revolution liegt in der Luft.

An eben diesem Kipppunkt zwischen Hoffnung und Bürgerkrieg lässt die Berliner Schriftstellerin Olga Grjasnowa ihren Roman „Gott ist nicht schüchtern“ beginnen. Der verschränkt die Lebenswege von Amal und Hammoudi, die aus Damaskus schließlich nach Berlin führen werden. Amal, Tochter eines Regimegewinnlers, studiert Schauspiel am Institute for Dramatic Arts.

Grjasnowas Romane eignen sich für die Bühne

Sie hat gerade ihre erste Serie gedreht und verdirbt sich die Karriere als syrischer Telenovela-Star aber durch ihre fortgesetzte Teilnahme an verbotenen Demonstrationen. Hammoudi hat sich in Paris zum plastischen Chirurgen ausbilden lassen, der allerdings Brandopfern helfen, nicht Botox spritzen will. Er ist nur in die alte Heimat zurückgekehrt, um seinen Pass verlängern zu lassen. Findet sich aber bald in einem kafkaesken Albtraum wieder.

Am Berliner Ensemble, wo Regisseurin Laura Linnenbaum „Gott ist nicht schüchtern“ jetzt zur Saisoneröffnung zur Premiere bringt (nächste Vorstellungen: 6., 15. und 16.9., weitere im Oktober), wird der rasante Sturz der Stadt und des Landes in Gestalt einer riesigen Werbetafel mit den gemalten Konterfeis der Assad-Herrscher versinnbildlicht (Bühne: Daniel Roskamp).

Die bekommen erst Teufelshörner aufgesprüht, werden dann großflächig weiß übertüncht – und schließlich ganz kaputt getreten, so dass nur ein Billboard-Skelett mit Fetzen übrig bleibt.

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Vier Spielerinnen und Spieler – Cynthia Micas als Amal, Marc Oliver Schulze in der Rolle des Hammoudi, Armin Wahedi als Amals Freund Youssef sowie Oliver Kraushaar, der wechselnde Autoritäten verkörpert – sitzen anfangs auf Röhrenfernsehern, während über ihnen eine Videocollage von Shakehands und Brüderküssen unter Mächtigen und Potentaten flimmert. Plakativ, aber stimmig.

Dass Olga Grjasnowas Romane sich für die Bühne eignen, ist ja schon zwei Mal am Gorki Theater bewiesen worden: Yael Ronens ironiefunkelnde Adaption ihres Debüts „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ zählte zu den ersten starken Premieren der Intendanz Shermin Langhoff, später hat Nurkan Erpulat das kunstvoll verwobene Beziehungsdreieck „Die juristische Unschärfe einer Ehe“ mit Gespür für die Schmerzpunkte in Patchwork-Biografien inszeniert. Im Gegensatz dazu bekommt Regisseurin Linnenbaum am BE die Essenz von „Gott ist nicht schüchtern“ nur schwer zu greifen.

In den Dialogen geht in der Bühnenfassung viel verloren

Das liegt auch an der Bühnenfassung, die Grjasnowa selbst mit Regisseurin, Dramaturgin und Ensemble erstellt hat. Die entwirft zwar wiederum in wenigen präzisen Passagen das Kolorit einer jungen syrischen Upperclass – gut ausgebildet, auf Partys und Filmpremieren unterwegs –, deren Zukunftsentwürfe in sich zusammenfallen.

Allerdings geht in den Dialogen viel von der gnadenlosen Nüchternheit der Beschreibung verloren, die den Roman auszeichnet und beklemmende Wucht entfaltet. Wenn sich zum Beispiel unversehens Scharfschützen auf dem Balkon von Amals Eigentumswohnung postieren und ihr Klo benutzen wollen. Wenn sie in den Folterkellern der Diktatur landet und erkennt, dass Vaters Geld und Einfluss sie nicht mehr schützen werden. Das liest sich härter, als es in Bühnenmikrofone gesprochen klingt.

Überhaupt wirkt die Inszenierung oft wie aus dem Setzkasten für moderne Regie zusammengepuzzelt. Hier ein Song zur Live-Gitarre (Lothar Müller), dort ein bisschen Drehbühnen-Akrobatik, dazwischen Filmerei mit der Handy-Kamera.

Das ist ein bisschen schade, denn in die Zeit passt diese Premiere natürlich glänzend. Es wird ja gerade das fünfjährige „Wir schaffen das!“-Jubiläum gefeiert. „Gott ist nicht schüchtern“ stellt dagegen die Frage, wer von denen, die alles zurücklassen mussten, es eigentlich „geschafft“ hat.

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