zum Hauptinhalt
Preußischer Prunk. Das Zeughaus, hier auf einem Gemälde von 1785, ist heute das älteste Gebäude an der Prachtstraße Unter den Linden.

© Deutsches Historisches Museum, Berlin

Das Berliner Zeughaus und seine Geschichte: Einen Zitronenlikör auf den Fortschritt

Das Berliner Zeughaus, ab 1695 errichtet, war als Ort preußischer Selbstdarstellung konzipiert. Seit dem späten 19. Jahrhundert ist das Waffenarsenal ein Museum. Die Ausstellung „Zeitschichten“ zeigt, wie sehr Geschichte dabei in den Dienst von Ideologien genommen wurde.

Es gibt Orte, an denen sich Geschichte verdichtet. Die Vergangenheit ist dort noch nicht endgültig vergangen. Gespensterhaft lebt sie fort. Der Schlüterhof des Berliner Zeughauses ist solch ein Ort. Hier hielt Hitler 1941 eine Rede zum „Heldengedenktag“. Ein Foto zeigt den Diktator vor einer inzwischen verschwundenen Freitreppe, umgeben von Uniformträgern und Beutekanonen mit martialisch hochgedrehten Rohren.

Dreißig Jahre zuvor, 1912, waren im Schlüterhof Neuerwerbungen zum Geburtstag Kaiser Wilhelms II. ausgestellt. Der Sockel einer Siegesgöttin fungierte als Schaukasten, behängt mit Schwertern, Steinschlosspistolen und Fahnen. 1959 eröffnete zur Ausstellung „10 Jahre DDR“ das Restaurant „Zur Mondrakete“. Gerade war der sowjetische Satellit Sputnik ins All geschossen worden, ein Sieg über den Klassenfeind, der mit den Cocktails „Mondlandung“ (Rum, Vanille, Sodawasser) und „Solidarität“ (Zitronenlikör, Wodka, Rum, Kirsche) gefeiert wurde.

In der Ausstellung „Zeitschichten“ des Deutschen Historischen Museums (DHM) wird aus dem Schauplatz der Geschichte ein Schauort. Die australische Kuratorin Mary-Elizabeth Andrews, die als International Museum Fellow an das Haus kam, hat im Schlüterhof, im Foyer und in der Dauerausstellung knapp zwei Dutzend Zeiten-Stationen platzieren lassen. Dort stehen, meist um einzelne Exponate aus der Sammlung gruppiert, Sichtgeräte bereit, die aus dem Boden wachsen wie die Sprachrohre eines Überseedampfers. Es sind Zeitmaschinen. Wer hineinguckt, sieht Fotos aus der Geschichte des Museums. Und erfährt inmitten der aktuellen Präsentation von 1500 Jahren deutscher Vergangenheit, wie exakt an diesem Ort vor 50, 80 oder 120 Jahren das Gestern inszeniert wurde.

Ein Ort preußischer Selbstdarstellung

„Zeitschichten“ ist eine Meta-Ausstellung, eine Ausstellung über Ausstellungen. Sie zeigt, wie sehr im Zeughaus die Vergangenheit in den Dienst wechselnder Ideologien genommen wurde. Kuratorin Andrews beruft sich im Katalog auf den britischen Sozialanthropologen E. E. Evans-Pritchard, der die materielle Kultur als Kette versteht, an der soziale Ideen aufgefädelt sind. Deshalb könnten „authentische“ oder „originale“ Objekte „natürlich niemals zeigen, wie es tatsächlich gewesen ist“. Aber eines demonstrieren die Exponate des DHM umso eindrucksvoller: Wie vergangene Zeiten behauptet haben, dass es gewesen sei.

Das Zeughaus, ab 1695 für den späteren König Friedrich I. errichtet, war als Ort preußischer Selbstdarstellung konzipiert. Im Laufe der 19. Jahrhunderts verwandelte sich das Arsenal, heute das älteste Gebäude an der Prachtstraße Unter den Linden, in ein Museum. Der Waffenfetischismus blieb. 1831 präsentierte das Haus an einer von Schinkel entworfenen „eisernen Wand“ mehr als 70 000 Gewehre, Pistolen und Kanonen.

Es folgten Gewerbeausstellungen und 1883 die Eröffnung des Königlichen Zeughaus-Museums, zu dem auch eine „Ruhmeshalle“ gehörte. Die Nationalsozialisten vergrößerten die Abteilung über den Ersten Weltkrieg und zeigten, als sie den Zweiten begonnen hatten, Beutewaffen. Durch Bomben schwer beschädigt, wurde das Haus 1952 in der DDR als Museum für Deutsche Geschichte wiedereröffnet. Die erste Sonderausstellung galt – wem sonst? – Karl Marx. 1990 zog das DHM ein.

Im Wandel der Zeit

Ruhm ist vergänglich, selbst wenn er in Eisen gegossen wurde. Von den 32 Reliefplatten aus der Königlichen Ruhmeshalle ist nach 140 Jahren bloß eine übrig, die einen „Krieger in seiner Rüstung“ zeigt. Es ist ein muskulöser Ritter, der den wilhelminischen Deutschen ein Ansporn sein sollte. Das späte 19. Jahrhundert war eine traditionstrunkene, operettenhafte Ära. In einer bungalowgroßen Riesenvitrine ritten und marschierten Dutzende ebensgroße Figurinen in barocken Uniformen noch größeren Zeiten entgegen, ein Geschenk Kaiser Wilhelms II. In der „Herrscherhalle“ reckte eine Marmor-Victoria einen Siegeskranz empor zu Fresken, die „Die Aufnahme gefallener Helden in der Walhalla“ oder die „Wiedererrichtung des Deutsches Reiches“ darstellten. Kostümierter Militarismus, der den Beginn des nächsten Krieges vorwegnahm.

Der Realsozialismus war nicht weniger siegesgewiss. „Die Relative Stabilisierung des Kapitalismus“ lautete 1966 die Überschrift zur Darstellung der Weimarer Republik. Tagesparolen auch über einem Plakat mit marschierenden wilhelminischen Soldaten: „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen!“ Geschichte bewegte sich in der marxistischen Deutung immer in eine Richtung, dem Fortschritt entgegen. Die DDR war überzeugt, schon sehr weit zu sein auf diesem, dem einzig richtigen Weg. Materialisiert hat sich der Fortschritt etwa in der Wellenradwaschmaschine „Combi II“, 1956 vom VEB Waschgerätewerk Schwarzenberg produziert. Die Kiste aus strahlend weißer Emaille gehört zu den Prunkstücken der Ausstellung. Sie zu bekommen war für die ostdeutschen Normalverbraucher nicht einfach. Aber bis 1960 wurden 108 200 Stück ausgeliefert.

DHM, bis 20. September, täglich 10 – 18 Uhr. Katalog 12 €

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false