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Kultur: Das Beste haben wir hinter uns, alles wird gut

Uraufführung am Berliner Grips-Theater: Volker Ludwigs „Baden gehn“ und die untergegangenen Träume von einer besseren Welt

Ideologisch hat sich hier seit Jahrzehnten nichts geändert, meckert eine Zuschauerin beim Verlassen des Theaters. Stimmt! Warum auch sollte sich partout was ändern? Grips bleibt Grips – pädagogisch, praktisch, gut. Jede neue Generation von Grips-Schauspielern überrumpelt mit hellwacher Spielfreude, und so ist es auch wieder in Volker Ludwigs und Franziska Steiofs „Baden gehn“, dem jüngsten Stück am Hansaplatz; selbst wenn der Untertitel „Sittenbild mit Musik“ durchaus etwas Altväterliches hat. Am Ende einer langen Spielzeit, in der so manche intellektualistische und ästhetisierende Anstrengung an die Wand gefahren wurde, weiß man den Grips-Witz und seine Bodenhaftung zu schätzen. Das Grips bleibt auch ein internationales Phänomen: In Seoul rollt die südkoreanische Version der „Linie 1“ soeben auf die 2000. Vorstellung zu, und Ludwigs Truppe wird dort im Herbst mit dem Original gastieren. Dann kommt die litauische „Linie 1“ aus Vilnius nach Berlin.

Und natürlich ist es Unsinn zu behaupten, dass das Grips nur noch sein eigenes Denkmal, seine „linke Geschichte“ pflegt. Das neue Berlin-Stück hat so gar nichts von der verbreiteten Alt-68er-Säuerlichkeit oder Verbitterung, dafür ist Grips- Kopf Volker Ludwig im Grunde immer schon zu alt gewesen. In ein paar Tagen wird er selbst 66, und der „Rentnerhasser“-Rock gehört zu den stärksten und komischsten Nummern von „Baden gehn“. Die Alten und die Beamten mit ihren Privilegien fressen den Jungen die Zukunft weg. Das ist mal eine klare, fröhlich vorgetragene Botschaft, mit einer nicht zu verachtenden Ironie. Darin liegt der Charme des Abends (als wär’s eine umgedrehte Nachkriegsrevue): Riesenprobleme in der Hauptstadt der Schulden und der Loser, aber die Einstellung stimmt. Wir haben keine Arbeit, also leben wir in den Sommertag hinein, ein Hoch auf die Anarchie! Berlin ist pleite, die Wirtschaft schrumpft, aber bergab geht’s sowieso leichter. Die Stadt erstickt vor Hitze, „lass’ uns baden gehn“, und wenn kein Wasser im Becken ist, auch gut!

Ein U-Bahn-Wagen, ein Café und nun die Liegewiese eines vom Senat geschlossenen Freibads: Volker Ludwig liebt die überschaubaren öffentlichen Räume, sie sind sein Labor. Hier wird gekalauert, gezankt, geliebt und debattiert, hier werden die zwischenmenschlichen Abstände und Gemeinsamkeiten vermessen, das Biotop beackert. Ludwigs Naivität ist die klassische List des Narren: Lasst die Hosen runter (was im Freibad keine dramaturgischen Verrenkungen erfordert), lasst uns Menschen sein. Wenn man diesen Freischwimmern zweieinhalb Stunden zusieht, wie sie sich lächelnd aus dem leidvollen Alltag herauswinden, wie sie zicken und zagen, protzen und abkotzen, dann möchte man sie abwechselnd in den Arm nehmen und ohrfeigen für den sympathischen Quatsch, der ihnen aus der großen Berliner Klappe quillt. Und wenn man das Schlussbild in Franziska Steiofs Inszenierung richtig deutet, dann ist auch ein jeder und eine jede nachher wieder allein auf sich gestellt – aber ein bisschen weniger einsam. Richtig happy ist keiner am Ende. Eher nachdenklich, still, wenn die Klischees fallen.

Die Story? Darauf kam es Grips selten an. Viele kleine Geschichten fügen sich sehr locker zu einem, nun ja, „Sittenbild“, einer bescheidenen Berliner comédie humaine mit großartigem Ensemble. „Das Wichtigste im Leben kann man nicht kaufen – Geld!“, kräht Thomas Ahrens als zackig-verklemmter Hauptmann der Reserve im tragisch engen Tanga. Um Kohle allein geht’s der süßen Jessica aus Weißrussland (Ariane Fischer), und dann nimmt sie doch Alex, den stocksteifen und stinkfaulen Streber (Mathias Schlung). Sein Kumpel John (Frank Engelhardt), Großmaul, Frauenheld und Pleite-Opfer der New Economy, spielt wie Hamlet mit Selbstmordgedanken – und verguckt sich in die blasse Krankenschwester Kati (Manja Doering), die sich über die Schlechtigkeit der Welt (Umweltzerstörung, Irak-Krieg) grämt. Volker Ludwig und Franziska Steiof machen sich von Herzen lustig über diese Typen, ihre auswendig gelernten Parolen, ihre hilflosen Posen und Proteste – und denunzieren sie nicht. Ingela ( der Name!), die hypochondrische, frühverrentete Kassandra von Ex-Lehrerin, karikiert die angestammte Klientel des Grips-Theaters: eine Paraderolle für Michaela Hanser. Und für Dietrich Lehmann, ihren brummigen und hellwachen Ehemann, der im Ehekrieg messerscharf pariert. Vor dreißig Jahren hat Volker Ludwig, von Haus aus Kabarettist und Schlagertexter, für Dorte und René Kollo gedichtet: „Du allein“. Lehmann & Hanser knödeln die Schnulze mit Inbrunst. Selbstzitat mit Selbstironie. Und Melancholie.

Seltsam: So hölzern Vivienne Newports Choreografie der Songs, so wenig überraschend – in der Tat – die Musik von Birger Heymann und der No-Future-Band. Und so bemüht auch die Idee mit dem ausgesetzten Baby, das all die verlorenen Typen zur Vernunft bringt. „Baden gehn“ – auf der Indoor-Freilichtbühne von Mathias Fischer- Dieskau – ist trotzdem ein Erlebnis. Weil es im Grips, jenseits des allgemeinen Jammers, was Neues gibt: diese Stimmung schöner Gelassenheit, dieses Nachlassen des Drucks. Nach dem Motto: Wir haben das Beste hinter uns, alles wird gut.

Wieder am 4. sowie vom 17. bis 21. Juni

Rüdiger Schaper

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