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Kultur: Das böse Erbe des Franz Josef Strauß

Terror von rechts: Daniel Harrichs „Der blinde Fleck“ rekonstruiert die Hintergründe des Oktoberfest-Attentats von 1980.

Auf dem Münchner Oktoberfest starben im September 1980 dreizehn Männer, Frauen und Kinder durch eine Bombe, die nahe dem Eingang in einem Papierkorb abgelegt war. 213 Verletzte konnten teils nur durch die Amputation ihrer zertrümmerten Glieder gerettet werden.

Die Wiesn-Gaudi ging tags darauf weiter. Franz Josef Strauß, damals Kanzlerkandidat, mochte im Wahlkampf die Schuldzuweisungen in Richtung Linksextremismus nicht zurücknehmen. Doch das Material neuer Fahndungscomputer, die das terroristische Spektrum vor allem nach RAF-Tätern filtern sollten, deutete auf ein anderes Ergebnis: Der Tote, der die Bombe platziert haben musste, wurde als der 21-jährige Gundolf Köhler identifiziert, dem Kontakte zu Karl-Heinz Hoffmann nachgewiesen wurden. Dessen bizarre faschistische Wehrsportgruppe galt CSU-Politikern aber stets nur als harmloser Schmarrn. Ein rechtsterroristisches Massaker passte nicht ins Bild.

Unter den Historikern, Journalisten und Aktivisten gegen Rechtsradikalismus, die das Oktoberfest-Attentat nicht ruhen lässt, ist der Münchener Journalist Ulrich Chaussy vielleicht der obessivste. 30 Jahre seines Lebens widmete er einer intensiven Spurensuche und drang tief in das Politdrama um Behördenblindheit und opportunistischen Diensteifer ein – paradoxerweise unterstützt durch einen Anonymus, der ihm abgelegte Ermittlungsmaterialien zukommen ließ. Chaussy sammelte Puzzleteile, mögliche Indizien für einen rechtsterroristischen Tathintergrund und publizierte sie.

Nun dienen sie auch als Stoff für Daniel Harrichs Spielfilm „Der blinde Fleck“. Harrich, bislang hauptsächlich Producer zeitgeschichtlicher TV-Filme, erzählt Chaussys beherzte Ein-Mann-Expedition ins Gestrüpp der Ermittlungspannen als Zeitbild der achtziger Jahre. Er arbeitet sparsam und informativ mit Dokumentaraufnahmen der verheerenden Folgen des Attentats und vertraut auf die Präsenz Benno Fürmanns, der massiv im Mittelpunkt des Films steht. An seiner Seite Nicolette Krebitz – als Chaussys Frau übernimmt sie den Part der Zuhörerin und Stichwortgeberin, wenn der einsame Wahrheitssucher komplexe Sachverhalte zwischenresümiert. Als Figur jenes Informanten, der Chaussy interne Unterlagen nach Hause schickt, um seinem Rivalen im bayrischen Staatsschutz zu schaden, führt der Film einen obskuren Schattenmann ein, den August Zirner vor dem Abkippen ins Kabarettistische bewahrt. „Der blinde Fleck“ ist ein dialogreiches, tatsachenfixiertes Genrestück über investigativen Journalismus: Das knappe Budget mag sichtlich zu schlichten visuellen Lösungen genötigt haben; dichter und überzeugender aber als gängige fiktionale Geschichtsrekonstruktionen im Fernsehen wirkt der Film allemal.

Mithilfe des Anwalts der Opfer deckt Chaussy peu à peu skandalöse Ermittlungspannen auf. Politiker wollen ihr Gesicht wahren – und der oberste bayrische Staatsschützer, ein Ex-BND-Agent und Kalter Krieger, instrumentalisiert die Münchner Klatschblätter zur gezielten Verbreitung offiziell genehmer Ermittlungsthesen. Gundolf Köhler wird als psychopathischer Einzeltäter exponiert, während man Zeugenhinweise auf mehrere Täter in den Abschlussberichten gänzlich unterschlägt. Der wichtigste Zeuge stirbt kaum zwei Jahre nach dem Massaker. Chaussy wird mit dem Auto verfolgt und attackiert. Die Bundesanwaltschaft, die nach Ermittlungsende Akten und Asservate zu archivieren hatte, lässt das Material im Lauf der Zeit verschwinden.

In seinem parallel zum Filmstart neu aufgelegten Buch „Oktoberfest – Das Attentat“ plädiert Chaussy trotz der Spurenvernichtung für eine Wiederaufnahme der Ermittlungen – und „Der blinde Fleck“ schließt sich seinem Vorstoß an. Vor dem aktuellen Hintergrund der Serienmorde des NSU-Trios weist er auf die notorische „Verdrängung des Rechtsterrorismus“ in Deutschland hin. Film und Buch stellen Fragen, sie behaupten keine Fakten. Ergänzend rekonstruiert das Buch die Geschichte der Wehrsportgruppe Hoffmann, untersucht anhand von Dokumenten die Mentalität seiner jungen Anhänger und liefert anschauliche Lageberichte zur politischen Situation der Bundesrepublik in den achtziger Jahren. Auf dem rechten Auge blind, ermöglichte das skandalöse Staatsversagen die verdeckte Kontinuität des Rechtsterrors. Claudia Lenssen

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