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Kultur: Das deutsche Blusenwunder

Der Uschi-Obermaier-Film „Das wilde Leben“ zeigt, wie „Achtundsechzig“ wirklich war

In den letzten Wochen konnte die deutsche Jugend leicht den Eindruck gewinnen, dass es das politische Phänomen „Achtundsechzig“ hauptsächlich deswegen gegeben hat, damit eine Person namens „Uschi Obermaier“ mit einer anderen Person namens „Mick Jagger“ Sex haben durfte. Das stimmt nicht! Es gab auch andere Ziele. Zum Beispiel, dass alle deutschen Mädchen überall und jederzeit ihre Bluse ausziehen dürfen mit nichts drunter. In dem Film „Das wilde Leben“ wird es genau gezeigt, wie es war. Uschi Obermaier verlässt Bayern, zieht ihre Bluse aus, liebt den Kommunarden Langhans – ohne Bluse –, wird berühmt – ohne Bluse –, liebt mehrere Rolling Stones – ohne Bluse – und verliert durch einen Motorradunfall die Liebe ihres Lebens, den Luden Bockhorn, den sie auf Indisch bestattet – ohne Bluse – sowie heftig beweint, auch dies selbstverständlich ohne Bluse.

Die Darstellerin Natalia Avelon – gab es nicht diesen Fantasyfilm „Der Nabel von Avelon“? – ist vom Busen her sicher sehr gut gecastet, oben herum sieht sie, wegen der Nase, eigentlich eher der Schauspielerin Inga Busch ähnlich als Uschi Obermaier. Aber „oben herum“ ist Achtundsechzig gar nicht so wichtig gewesen! Nasen sind eh bürgerlich. Bei dem Kommunarden Langhans fällt auf, dass sein Darsteller Matthias Schweighöfer, wenn er mit den verschiedenen Kommunardinnen schläft, um sie zu befreien, viel zu viele Muskeln hat – damals gab es doch noch keine Fitnessstudios! Deswegen muss man in „Das wilde Leben“ unwillkürlich darüber nachdenken, ob in historischen Filmen überhaupt noch historisch einwandfreie Nacktszenen möglich sind, weil früher auch die jungen Leute oft spillerig waren oder ein bisschen fett und heute haben alle jungen Schauspieler Muckis wie Conan der Barbar. Nun, so tiefe und philosophische Gedanken haben die Leute, die diesen Film gedreht haben, sich sicher nicht gemacht. Ihre Namen möge das große Gedächtnis der Filmgeschichte aufbewahren, das Gedächtnis der Leser dieses kleinen Textes möchte man nicht mit ihnen belasten.

Dass in den Szenen, in denen Uschi Obermaier vor, mit oder unter den Rolling Stones ihre Bluse auszieht, meistens keine Musik der Rolling Stones zu hören ist, sondern Musik von anderen, unbekannteren Bands, ist sehr wahrscheinlich kein Versehen gewesen, sondern eine Sparmaßnahme, weil in diesem Film das ganze Geld, das sie sonst für Psychologie, Schauspielen, Nachdenken, Musik und Spannendmachen ausgeben, fast vollständig in die Ausleuchtung des Busens von Natalia Avelon geflossen ist, getreu der alten Achtundsechziger-Devise „Wer zweimal mit dem Drehbuch pennt, gehört schon zum Establishment“.

In den Berliner Kinos Cinemaxx Potsd. Platz, CineStar Tegel, Cubix Alexanderplatz, Kulturbrauerei, Colosseum, Zoo

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