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"Goethe in der Campagna" von Johann Heinrich Tischbein, 1787. Wer genau hinschaut, erkennt: Der arme Goethe hatte scheinbar zwei linke Füße...

© dpa

Das Deutschlandbild der Briten: Die entspannte Nation

Eine Deutschland-Debatte im British Museum in London, aus Anlass der dortigen Deutschland-Ausstellung: über Führungsanspruch, Machtverschiebung, Vergangenheitsbewältigung und Deutschlands neue Gelassenheit.

„Deutschland, ein zögerlicher Führer“: Schon mit dem Titel der vom Royal Institute for International Affairs organisierten Konferenz im British Museum in London haben die Deutschen ihre Probleme. Aus historischen Gründen könne „das Wort Leadership nicht übersetzt werden“, sagt Botschafter Peter Ammon. Europa sei ein Kooperationsmodell, es brauche keine Führungsnation, ergänzt Steffen Kampeter, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Allenfalls gebe Deutschland Orientierung. Worauf der ehemalige britische Bildungsminister David Willetts erzählt, wie es in den EU-Gremien still wird, wenn die Deutschen ihre Stimme erheben. „Deutschlands Ansichten bestimmen die Tagesordnung. Wenige wagen zu widersprechen.“

Das mächtige, sich selbst verleugnende Deutschland ist bei den Briten im Gespräch wie nie. Ein Grund dafür ist die Ausstellung, mit der Neil MacGregor, germanophiler Direktor des British Museum, das Deutschlandbild der Briten zu korrigieren versucht. Während Politiker, Historiker und Journalisten im Museumskeller diskutieren, zeigt die Ausstellung oben unter dem Titel "Deutschland: Erinnerungen einer Nation" das „wahre“ Deutschland als Gegenmodell zur „Anomalie“ des monolithischen NS-Staats: eine jahrhundertelang fragmentierte, seiner Identität ungewisse Ansammlung konkurrierender Untereinheiten – ein Vorbild dezentralisierter Macht.

MacGregor lobt Deutschlands Vergangenheitsbewältigung. Auch die Historikerin Mary Fulbrook beschreibt das „Schuldbewusstsein gegenüber der Vergangenheit und die Verantwortung für die Zukunft“, sieht dies aber kritischer. Über seine Gedenkkultur habe sich Deutschland mit den Opfern identifiziert und die Täter aus der Erinnerung getilgt.

„Das Geheimnis von Deutschlands Erfolg ist Subsidiarität: Es ist kein zentralisierter Staat“, bestätigt Kampeter MacGregors These. Der Oxforder Historiker Timothy Garton Ash wiederum sieht die Ursache von Deutschlands neuer, entspannte Identität darin, dass es seit 1990 erstmals klare Grenzen gibt, einen klaren rechtlichen, politischen, kulturellen und ökonomischen Rahmen.

Ausgerechnet von diesem entspannten Deutschland erwarten die Briten nun ein neues Maß an Führungsbereitschaft. Die „Times“ machte Deutschland gerade dafür verantwortlich, Wachstum in der Euro-Zone durch Angst vor inflationssteigernden Maßnahmen abzuwürgen. Ökonomen verfolgen, wie sich Deutschland aus der Euro-Krise befreit. Spätestens in der nächsten Krise müsse es „die Wahl zwischen Europa und seiner Wirtschaftsideologie treffen“, so Martin Wolf von der „Financial Times“. Auch Briten, die wie Premier Cameron einen EU-Austritt verhindern wollen, setzen auf deutsche Führung. Letzte Woche forderte Ex-Premier John Major deshalb pragmatische Kompromisse. Während im Museum Deutschlands zögerliche Führung diskutiert wird, geben sich die Mitglieder des Bundestags-Europaausschusses auf Info-Reise in London ihrerseits kompromisslos. „Cameron ist wie ein Schmetterling im Wind. Er muss ein bisschen Führung zeigen“, sagte der Ausschussvorsitzende Gunther Krichbaum.

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