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Kultur: Das Donnern beim Wetterleuchten der DDR

Offenbar träumte er bis zuletzt davon, ein großer Schriftsteller zu sein.Aber mit jedem Buch, das er schrieb, erschuf er sich nur noch mehr als Person der Zeitgeschichte, und die Leser, die sich im vergangenen Jahr mit seinem jüngsten Buch "Magdalena" (Rowohlt Berlin) beschäftigten, einem Roman genannten Bericht über Stasi-Traditionen in der Gauck-Behörde, taten dies entweder aus beruflicher Pflicht oder aus der privaten Sorge, daß sie selbst darin vorkommen könnten.

Von Gregor Dotzauer

Offenbar träumte er bis zuletzt davon, ein großer Schriftsteller zu sein.Aber mit jedem Buch, das er schrieb, erschuf er sich nur noch mehr als Person der Zeitgeschichte, und die Leser, die sich im vergangenen Jahr mit seinem jüngsten Buch "Magdalena" (Rowohlt Berlin) beschäftigten, einem Roman genannten Bericht über Stasi-Traditionen in der Gauck-Behörde, taten dies entweder aus beruflicher Pflicht oder aus der privaten Sorge, daß sie selbst darin vorkommen könnten.Jürgen Fuchs, der am Sonntag in Berlin mit 48 Jahren nach jahrelangem Kampf gegen den Knochenmarkkrebs gestorben ist, war der publizistische Rächer aller Stasi-Opfer: ein Donnergott, der in jedes Wetterleuchten der DDR hineinfuhr.

Man konnte ihm ansehen, wenn es nicht schon seine Texte verraten hätten, wie dünnhäutig, verbittert, traumatisiert, ja paranoid er war, und so vorsichtig man sein muß, eine Verbindung von Schicksal und Krankheit herzustellen: Sein Tod ist ein später Triumph des Staates, mit dem er seit 1973 im offenen Clinch lag und der ihn auch nach seiner Ausbürgerung 1977 - neun Monate nach derjenigen seines Freundes Wolf Biermann und über 200 Verhören durch die Stasi - nicht in Ruhe ließ.Noch in den achtziger Jahren legte die Hauptabteilung XX/5 einen "Zwischenbericht über die Feindtätigkeit des Jürgen Fuchs" vor, in dem es heißt: "Im Zeitraum von Ende August bis Ende September 1982 wurden in konzentrierter Form spezielle Maßnahmen mit dem Ziel realisiert, Fuchs zu verunsichern und in seinem Handlungsspielraum zu beinträchtigen: - Fuchs wurde kontinuierlich, vor allem in den Nachtstunden, in seiner Wohnung angerufen, ohne daß sich der Anrufer meldete.Gleichzeitig wurde jeweils der Fernsprechanschluß zeitweilig blockiert.- Im Namen von Fuchs wurde eine Vielzahl von Bestellungen von Zeitungen, Zeitschriften, Prospekten, Offerten und dergleichen aufgegeben, darunter auch Bestellungen, die zur Kompromittierung des Fuchs geeignet sind.- Mehrfach wurden Taxis und Notdienste (Schlüsselnotdienst, Abflußnotdienst, Abschleppdienst) vorwiegend nachts zu Wohnung des Fuchs bestellt."

So ging es damals zu in West-Berlin, als Erich Mielke gerade einen neuen Haftbefehl gegen Fuchs unterschrieben hatte, sollte er jemals wieder DDR-Territorium betreten.Zur Information wurden selbst die Patienten ausgeforscht, die Fuchs an seiner Arbeitsstelle im Moabiter "Treffpunkt Waldstr." betreute, einer Nachsorgeeinrichtung für psychisch Kranke.Es ist deshalb kein Wunder, daß Fuchs in seinem Denken stärker von der Disziplinargesellschaft DDR durchdrungen blieb, als es einem Dissidenten wie ihm guttun konnte.Er war ein Opfer, das gewissermaßen auf seine Peiniger gewartet hatte und so verbissen auf sie starrte wie sie auf ihn.Von daher rührt, daß viele, die ihn näher kannten, seine Gerechtigkeit lieber nicht zu spüren bekommen wollten.Abgesehen davon, daß er ein Märtyrer gewesen sei, der auf jedes Kreuz gestiegen wäre, habe er auch großes Talent zum Denunziantentum besessen.

Jürgen Fuchs stammte aus dem vogtländischen Reichenbach.Er studierte in Jena Psychologie (mit Schwerpunkt Sozialpsychologie) und veröffentlichte ab 1971 in Zeitschriften und Anthologien - bis seine Prosa und alltagskritischen "Gedächtnisprotokolle" mehr und mehr auf Widerstand stießen.1975 wurde er vom Studium ausgeschlossen und als "Konterrevolutionär" und "Staatsverleumder" mit einem Publikationsverbot belegt.Er hielt sich mit Aushilfsjobs über Wasser und fand bei Robert Havemann in Grünheide bei Berlin Unterschlupf.Fuchs organisierte auf dem Grundstück des Regimekritikers Treffen junger Dissidenten, deren Mittelpunkt er bildete, um die Gäste, wie Havemanns Sohn Florian berichtet, am Ende noch einmal zu dem berühmten Professor zu führen, der damals längst ein Monument seiner Isolation gewesen sei.

Noch während Fuchs in Untersuchungshaft saß, erschienen in Westdeutschland die "Gedächtnisprotokolle", in denen unter anderem die Vorgänge um seine Exmatrikulation festgehalten sind.1979 stellte er unter dem Titel "Tagesnotizen" Lyrik vor, berichtete 1984 in "Fassonschnitt" von seinem Dienst bei der NVA und in "Das Ende einer Feigheit" 1988 von einer sechswöchigen Reservistenübung.Betroffenheitsliteratur heißt heute der für die Haltbarkeit dieser Bücher eindeutige Stempel.Fuchs hat das affektive Verhältnis zu seinen Themen nie wirklich ins Historische wenden können.So verschaffte ihm auch auch die Wende keine Befriedigung.

Der Mauerfall rückte ihm seine Feinde sogar erst wieder richtig nahe.In jener Mischung von Verletztheit, moralischem Rigorismus und Polemik gegen die politischen Erben und Profiteure des SED-Staates, einer Polemik, die in der Sache oft richtig, der Form nach aber unmöglich war, attackierte er die PDS und deren Dunstkreis.Er geißelte das mangelnde revolutionäre Bewußtsein der neuen Bundesrepublik, das viel zu sehr auf Kollaboration mit den alten Herrschern ausgerichtet sei, und nahm für sich in Anspruch, zu einer authentischen Linken zu gehören.1996 gründete er zusammen mit Bärbel Bohley in Berlin das "Bürgerbüro e.V.", um Menschen zu helfen, "die durch Willkürakte der DDR fortdauernd geschädigt sind".Bohley war neben Roland Jahn, Wolf Biermann und Katja Havemann auch eine der letzten Besucherinnen am Krankenbett von Jürgen Fuchs.In einer gemeinsamen Erklärung, die dennoch eines gewissen Untertones nicht entbehrt, heißt es: "Jürgen hat sich über Jahrzehnte für Menschenrecht und -würde eingesetzt.In unserem Schmerz sind wir dankbar für alles, was er uns gab."

Der Tod von Jürgen Fuchs erinnert aber auch an ein unseliges Kapitel der westdeutschen Linken.Wer sich heute noch einmal die politischen Verwirrungen vor Augen führt, die im Verband deutscher Schriftsteller eine ganze Reihe von Autoren - außer Reiner Kunze und Frank-Wolf Matthies eben auch Fuchs - dazu brachte, mit ihrem Austritt gegen die DKP-getönte Politik ihres Vorsitzenden Bernt Engelmann zu protestieren, dem wird vielleicht klar, welche Betonköpfe auch hierzulande unterwegs waren.Man muß dazu nicht einmal wissen, wie recht Reiner Kunze mit seinem Argwohn gegenüber Staatsschriftstellern vom Schlage eines Hermann Kant behalten würde.

Jürgen Fuchs ist im August 1982 in einem Akt der Solidarität aus dem VS mit ausgetreten.Er hat dabei nicht argumentiert, sondern gehofft, für die Vorsitzenden werde seine "Abwesenheit ohne negative Folgen für ihre Gesundheit und literarische Inspiration" sein.Das war seine Art der Ironie.Er hätte davon eine Menge mehr gebrauchen können.

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