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Blauer Himmel, heiße Luft. New York – hier ein Blick über den Central Park – macht aus dem Besucher einen Partner. Foto: Imago

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Das Doppelspiel: "Tausche Wohnung in Berlin gegen Apartment in Manhattan"

Ein Wohnungstausch macht's möglich: Fünf Monate in New York, zwischen Columbia University, Tennis-Court und Opernbar.

Der Wohnungstausch war durch unsere prompte Antwort auf eine Annonce im Internet zustande gekommen. Ich kann das Modell, das meine Lebensgefährtin und mich für fünf Monate nach New York führte, nur empfehlen. Die Tauschpartner ziehen möglichst am gleichen Tag in die Wohnung des anderen ein, bezahlen alle Rechnungen in der eigenen Wohnung weiter – Telefon, Strom, Gas, Miete, Putzfrau, sogar, warum nicht? Zeitungsabonnements – und ziehen nachher möglichst am gleichen Tag wieder aus. Am Ende der Tauschperiode wird abgerechnet. Eigentlich kann dabei nicht viel schief gehen, da die jeweils fremde Wohnung sozusagen eine Geisel ist, die man eingedenk der eigenen Wohnung so pfleglich wie möglich behandelt. Schließlich möchten die Tauschpartner ihre Wohnung am Ende so vorfinden, wie sie sie hinterlassen haben.

Wir und unsere beiden Tauschpartner aus Manhattan waren ein nahezu ideales Quartett. Tatsächlich haben wir unsere Kontrahenten aus New York nur zweimal gesehen: am Tag der An- und Abreise. Wir, ein Schriftsteller und eine Malerin, zogen in die Manhattan-Wohnung ein, sie – eine Literaturwissenschaftlerin und ein Schriftsteller (beide aus Argentinien), machten es sich in unserer Wohnung bequem. Das Einzige, was uns bei unserem Einzug leicht verstörte, war der Umstand, dass es außer einem Queen-Size-Bett kaum ein gepolstertes Möbelstück in der New Yorker Wohnung gab – unsere Partner mögen sich ihrerseits über die Überzahl von Betten und Sofas in der Charlottenburger Wohnung ihre eigenen Gedanken gemacht haben.

Die auffällige Vorliebe für Holzmöbel ohne Kissen in der New Yorker Wohnung setzte bei mir sofort Fantasien über eine asketische, womöglich maoistische Vergangenheit unserer Partner frei. Derartige Fantasien sind ein Risiko, das Partner von Tauschwohnungen unvermeidlich eingehen. Denn Wohnungen, egal wie aufgeräumt, sprechen Bände und sind in hohem Maße interpretierbar.

Unsere Tauschwohnung lag im 5. Stock eines renovierten sechsstöckigen Wohngebäudes, das der Columbia University gehört. Die Universität hatte das Haus vor vier Jahren gekauft und renoviert. Allerdings hatten die Administratoren nicht daran gedacht, Ventile an den Heizungen anzubringen – mit der Folge, dass ich den Winter meist vor halb offenen Fenstern verbrachte. Europäer haben inzwischen eine Art inneres Alarmsystem gegen Verschwendungen dieser Art entwickelt. Ich glaubte zu sehen, wie die teure heiße Luft in Schwaden in den meist blauen Himmel vor den Fenstern stieg. Aber vor die Wahl gestellt, den Winter in verträglichen oder in tropischen Temperaturen zu verbringen, entschied ich mich für die Verschwendung.

Nach dem sonnigen, aber kalten Winter brach fast ohne Übergang ein heißer Frühling herein. Kaum war die Heizung ausgestellt, warf ich die Air-Conditioner an. Ich fand heraus, dass es unweit der Wohnung, unterhalb des Riverside Drive, eine Tennisanlage gab. Dort lernte ich eine Gruppe von rüstigen Herren meines Alters kennen, die täglich jeweils um die Mittagszeit auf der Anlage erschienen und dann drei bis vier Stunden Doppel spielten. Man musste schon in New York sein, um auf eine Truppe von Tennis-Verrückten zu treffen, die einen Fremden wie mich sofort und ohne Umstände integrierte. Vorname und Handschlag genügten, und schon war ich eingeladen, am Platzrand einen Satz abzuwarten und anschließend mitzuspielen. „Aber wenn du etwas gegen meine Regierung in Athen hast“, sagte Chris, der griechische Restaurantbesitzer, kurz vor dem ersten Aufschlag, „spiele ich nicht mit dir“. Chris erwies sich als Meister des Lobs, dessen in den Himmel geschlagene Bälle sich dann doch kurz vor der weißen Linie auf den Platz senkten. Der weißhaarige Leopoldo, der vor undenklichen Zeiten aus Italien nach New York gefunden hatte und eine Opernbar an der East Side betrieb, verfügte über einen Stop, der den Ball im Feld des Gegners in einen nassen Lumpen zu verwandeln schien. Der Ungar Zoltan, der eine Konditorei in der Nähe der St. John’s Cathedral führte, war ein paar Jahrzehnte jünger als die anderen und hätte mit seinem knallharten Aufschlag und seinen Top-Spin-Schlägen jeden der Älteren im Einzel massakriert. Aber im Doppel, wusste Zoltan, herrschen andere Gesetze. Der Meister lichtschneller Reflexe am Netz war Marc, der einzige geborene New Yorker des Quartetts, der sich mir als Schriftsteller vorgestellt hatte. Er verfasste Kreuzworträtsel für große Zeitungen.

Ich wurde dem stärksten Spieler der Runde zugeordnet und machte ihn regelmäßig zu meinem Mitverlierer. So ging es einige Wochen. Aber statt zu fluchen, statt mir Anweisungen ins Ohr zu zischen oder zuzubrüllen, lobten mich meine Mitspieler. Entweder hielten sie mir meinen längst überwundenen Jetlag zugute oder die Tatsache, dass ich an Sandplätze gewöhnt war und mangels eines eigenen mit Chris’ Schläger spielte. „Wenn du jeden Tag kommst“, sagte Chris, „machen wir aus dir bis zu deiner Abreise einen richtigen Doppelspieler.“ Und tatsächlich – nach einigen Wochen gewann ich den einen oder anderen Satz an der Seite von Marc oder Zoltan, und schließlich auch an der Seite von Leopoldo. Missfallen erregte ich nur, wenn ich nach zwei oder drei Stunden pausenlosen Spiels bekannte, dass ich jetzt genug hätte. Meine Mitspieler hatten nie genug. Da alle – außer Zoltan – Nachtarbeiter waren, kamen sie immer erst um eins oder zwei auf den Tennisplatz. Und diese Gewohnheit, versicherten sie mir, behielten sie auch bei 35 oder 40 Grad im Sommer bei, wenn besser gestellte New Yorker ihrer Stadt den Rücken kehren.

Kurz vor der Rückreise nach Berlin ging ich ins Café Taci/Papillon Bistro, um eine von Leopoldos Opernnächten zu erleben. Vor und neben dem kleinen Bühnenkasten waren gedeckte Tische angeordnet, im hinteren Teil des Cafés, durch eine Säulenreihe abgetrennt, gab es Steh-und Hockplätze an einer langen Bar. Ich erkannte meinen hageren Tennisfreund, den ich nur in kurzen Hosen und im verschwitzten T-Shirt kannte, im schwarzen Anzug kaum wieder. Die Sänger und Sängerinnen traten im New Yorker Straßen-Outfit auf. Als der Pianist zur Einstimmung die Ouvertüre von Verdis „La Traviata“ spielte, unterdrückte ich ein Stöhnen. Das Klavier bedurfte dringend eines Klavierstimmers, auch hatte ich den Eindruck, dass mehrere Klaviertasten klemmten. Mein Misstrauen löste sich auf, als die Solisten in rascher Folge auf die Bühne traten und die Ohrwürmer des italienischen Opern-Repertoires in Leopoldos Café schmetterten. Nicht alle waren mit schönen Stimmen gesegnet, alle jedoch sangen sie aus Leibeskräften und dominierten das scheppernde Klavier derart, dass man es kaum noch hörte. Leopoldo wurde nicht müde, mir die Namen und Karrieren seines Aufgebots ins Ohr zu flüstern: der hünenhafte Bass, der in Sandalen auf die Bühne trat, sang sonst im Chor der Metropolitan Opera, die farbige Sopranistin im Seidenkleid war an namhaften deutschen Opern aufgetreten, der Bariton im Jogginganzug hatte vor Jahren in Italien einen namhaften Preis gewonnen. Allen schien der Ehrgeiz gemein zu sein, in Leopoldos Café mit jenen berühmten Arien zu brillieren, die sie an den großen Bühnen der Welt wohl nur im Chor begleiten oder nur dann selber singen durften, wenn der Star der Oper ausfiel.

Am Ende des Abends improvisierte Leopoldos Solistentruppe ein Finale, wie man es an keiner Oper der Welt erlebt. Während der Tenor auf der Bühne eine Puccini-Arie schmetterte, stimmten die anderen, die inzwischen mit Wein- und Whiskygläsern in den Händen an der Bar saßen oder zwischen den Tischen hin und her spazierten, in die Arie ein, sangen die herzzerreißenden Passagen mit oder erfanden dazu zweite oder dritte Stimmen – das ganze Café fing an zu vibrieren und wurde von allen Ecken aus mit so viel klingendem Sauerstoff gefüllt, dass es aufzusteigen schien.

Der Tag der Abrechnung ist gekommen. Aber vielleicht sollten wir noch etwas warten, da ja der Euro weiter steigt.

Peter Schneider lebt als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien von ihm „Rebellion und Wahn – Mein ’68“.

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