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Kultur: Das doppelte Bettchen

„Melinda und Melinda“: Wie der neue Film von Woody Allen Männer und Frauen ins Glück stürzt

Optimisten würden sagen: wird doch wieder. Nach den Flops der vergangenen Jahre wie „Hollywood Ending“ oder „Anything Else“, die bei uns entweder gar nicht mehr oder nur kurz in den Kinos liefen, endlich wieder ein echter Woody Allen. Mit Spinnern und Nervösen, wie wir sie lieben, mit der kühlen, exquisiten Jazz-Musik, mit einem New York, das so herbstlich, so heimelig leuchtet, und mit einem Dialogwitz, wie wir ihn vom Meister der sophisticated comedies erwarten. Und, wer weiß, „Match Point“, der jüngste Woody Allen mit Scarlett Johansson, der gerade auf dem Filmfestival von Cannes gezeigt und allgemein bejubelt wurde, wird den Meister vielleicht wieder ganz auf der Höhe seines Könnens zeigen. Noch lange nicht am Ende also, unser aller Lieblingsneurotiker.

Pessimisten würden sagen: alles schon mal da gewesen. Und besser zumal. Woody Allen fällt nichts mehr ein. Immer diese verhinderten Schriftsteller, Schauspieler, Komponisten, Regisseure, Künstler und Galeristen. Immer die gleichen eleganten Wohnungen auf der Upper East Side, die baumdunklen Straßen, die Bistros à la parisienne. Ein Fossilienverein, längst nicht mehr das New York von heute, das an anderen Orten, mit anderen Themen lebt. Hier hat sich seit „Manhattan“, seit „Annie Hall“ und „Hannah und ihre Schwestern“ nichts bewegt. Und Woody spielt noch nicht einmal selber mit, mit dieser silbrig-unscharfen Alterszerbrechlichkeit, die „Deconstructing Harry“ 1997 so sehenswert machte. Er ist nun doch am Ende, der fleißigste Regisseur der USA. Und vorbei auch die Zeit, da man jedes Jahr sehnsüchtig auf den „neuen“ Woody Allen wartete. Das alles sind nun: Stardust Memories. Filmgeschichte.

Optimist oder Pessimist, was für eine Frage. Woody Allen stellt sie natürlich raffinierter, hochkultureller gewissermaßen: Komödie oder Tragödie. Genau die richtige Frage, wenn man mit Freunden im Bistro beim Wein zusammensitzt, und draußen prasselt der Regen, und eine schöne Frau ist am Tisch, die man beeindrucken will, und schon plustern sie sich auf, der Komiker und der Tragöde, eine Wette unter Männern, und viel Lärm um nichts. Trotzdem: Spielen wir, weil es draußen regnet und der Wein uns schmeckt, das Spiel einmal mit, auf das sich die beiden Balzköpfe Wallace Shawn und Neil Pepe in Allens New Yorker Bistro-Café einlassen. Eine simple Ausgangssituation. Eine junge Frau platzt in eine festliche Abendgesellschaft. Nun zeigt mal, was ihr könnt, Komiker und Tragöden. Los geht’s, in Parallelmontage, erzählt eure Version, und wer am Ende gewinnt, entscheidet das Publikum.

Melinda also. Melinda Eins ist tragisch unglücklich, mit allem, was dazugehört: Alkoholikerin, tablettensüchtig, geschieden, von ihren Kindern getrennt, ein Selbstmordversuch und viele Therapien hinter sich, und dazu hoffnungslos hysterisch. Da hilft es kaum, dass die New Yorker Freunde, Park-Avenue-Prinzesschen wie Laurel (Chloë Sevigny) und Cassie (Brooke Smith), flugs ein Verkupplungsprogramm starten und mit grundsoliden Zahnärzten aufwarten. Die Liebe kommt, in Form eines sensiblen Musikers (Chiwetel Ejiofor), doch natürlich geht sie auch wieder, und Melinda bleibt allein. „Sie wird wohl niemals glücklich werden.“ Ende der Tragödie.

Oder Melinda Zwei: Hat ihren Mann verlassen, als der sie mit einem Model betrog, steht plötzlich in der Tür, mit 25 Schlaftabletten intus. Tragisch? Nein komisch, oder vielmehr: höchst romantisch. Denn da kommt die Liebe ins Spiel, ein Flirt zunächst, Verwicklungen, Verwechslungen, Ehen gehen zu Bruch, Affären werden mit Zahnärzten begonnen, man diskutiert die Liebesprobleme mit dem besten Freund beim Basketball, nimmt die Liebste mit zum Pferderennen, und gebrochene Herzen sind ein Problem, das man mit gutem Wein und Kerzenschein beseitigen kann. Am Ende sind alle neu verliebt und glücklich. Finita la commedia.

Das Problem ist nur: Der Zuschauer verliert schnell den Überblick. Die unglückliche Melinda hat wirre Locken, die glückliche blonde Strähnen und Sommersprossen. Radha Mitchell, die australische Schauspielerin, die durch „Finding Neverland“ bekannt wurde, ist in beiden Fällen sehr hübsch, temperamentvoll und leicht neurotisch. Auch sonst vermischen sich Tragik und Komödie in beiden Episoden, so dass man bald nicht mehr weiß: der erfolglose Schauspieler mit der Zahnpastareklame – Tragödie oder Komödie? Und die Affäre mit dem Zahnarzt, wer hatte die jetzt? Zu ähnlich ist der Ton der Episoden, um an zwei verschiedene Erzählungen zu glauben. Es bleibt, in beiden Fällen, der typische Woody-Allen-Sound.

Doch, schlimmer noch, vielleicht ist schon die Ausgangsfrage falsch. Will man bei Woody Allen wirklich entscheiden müssen, ob das Komödie oder Tragödie ist? Hat man nicht in verzweifelten Situationen mit ihm herzlich gelacht und in jedem frischen Glück den tragischen Hauch des Endes verspürt? Anders gefragt: Halb voll oder halb leer, genau das ist bei Woody Allen eben keine Frage. Die zitternde Halbheit, das Schwanken dazwischen, ist sein Metier. Ob das genug oder zu wenig ist, das bleibt eine Frage für Optimisten oder Pessimisten.

Ab Donnerstag in den Berliner Kinos Delphi, International, Kulturbrauerei, Yorck; OV im Cinestar SonyCenter, OmU im Odeon

Christina Tilmann

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