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Kultur: Das doppelte Gottchen

Stefan Bachmanns „Amphitryon“ am Deutschen Theater Berlin

Schön, so eine Premiere im Schnee. Man könnte mit Langlaufski vorfahren. Die bronzenen Urväter des Deutschen Theaters sind jetzt Eisheilige mit hohen weißen Hauben, wie ägyptische Priester. Schnee in Berlin, der liegen bleibt, hat etwas Altmodisches. Und so geht einem das auch mit dem Theater eines Heinrich von Kleist, das man sich liebend antut, weil es von gestern ist. Und weil einen die Aktualisierungen immer so müde machen.

Und was macht Stefan Bachmann, der Rückkehrer aus einer langen Kunstpause, mit dem „Amphitryon“? Er macht das Licht aus. Totale Theaterfinsternis, selbst die Notbeleuchtung ist abgeschaltet, bald zehn Minuten lang.

Das ist recht kleistisch, so eine Verdunkelung. Lustspiel und Trauerspiel sind bei ihm eins. Er schwärzte die Molière’sche Vorlage – und hat sie damit auch erhellt. Kleists Helden sehen sich durch göttliche Taschenspielertricks verdoppelt und stürzen in die schlimmste Identitätskrise. Alkmene und Amphitryon – sie lieben sich leidenschaftlich – drohen aneinander zu zerbrechen über Nacht. Wer bin ich? Bist du noch du? Jupiter, der geile Gott, als Körperfresser: Er nimmt Amphitryons Gestalt an – nur prächtiger –, schläft mit Alkmene, die ihren Mann als überirdischen Liebhaber erlebt. Cosi fan tutte – nur geht die Reise hier in das unbekannteste und gefährlichste aller Länder, ins eigene Ich. Der Unterschied zwischen Gott und Mensch ist klein, hat aber große Folgen.

Stockfinster Bühne und Zuschauerraum. Amphitryons Diener Sosias stolpert nach Hause, nach gewonnener Schlacht. Ein lustiger Tölpelmonolog, selten in der deutschen Dramatik. Das macht Sebastian Blomberg auch sehr schön – das Spiel mit der hohen Sprache und der eigenen Beschränktheit, die eigentlich plebejische Vorsicht ist. Irgendwann erinnert er sich an seine Taschenlampe. Jetzt scheint ein Kegel auf, Sosias spricht in den Mini-Scheinwerfer, wird zum Schauspieler. Leider findet Regisseur Bachmann das Taschenlampen-Kinderspiel so toll, dass nachher auch Alkmene, Jupiter und Amphitryon wie die Armleuchter herumstehen und sich an- und ausknipsen. Und dann wird’s kindisch.

„Amphitryon“ ist ein Rückkehrerstück. Hat Bachmann es deswegen ausgesucht? Seine Inszenierung traut sich leider nichts. Wirkt ängstlich in ihrer Verspieltheit. Versteckt sich in Kostümen (von Annabelle Witt), die mehr Design sind als tragbar: Die Männer sehen aus, als seien sie Eichingers „Untergang“ entsprungen. Noch im Bett hat Jupiter die Uniformmütze schief auf dem Kopf. Robert Gallinowski, ein gockelnder Gott, schnarrt herum wie im Offizierskasino. Unangenehmer Typ, eitler Stecher und fieser Grinser. Zur Boulevardkomödie ist’s nicht mehr weit, die Kissen liegen auch schon in Griffnähe, aber werden nur gebraucht, die nackten Körper Alkmenes und ihres olympischen Hausfreunds zu bedecken. Ein bisschen hui und pfui, neckisch-hektisch, es tut nicht gut, es tut nicht weh – ein bisschen charmant, ein bisschen sehr verklemmt.

Man muss nur sehen, wie Charis (Katharina Schmalenberg) über die Bühne stakst, mit grellrot verschmierten Lippen. Das soll jetzt verworfen sein! Sosias’ Frau – auch sie wird von einem Göttlichen verarscht, dem gemeinen Merkur (Alexander Khuon) – ist schrecklich hilflos. Doch das sind eher Regieprobleme. Die Alkmene von Anne Ratte-Polle sieht in ihrem roten, hochgeschlossenen Kostüm aus wie eine Kreuzung aus Kate Moss und Anke Engelke. Sie ist kühl, schnell genervt, Lust ist bei ihr eher eine Laune. Und das berühmte „Ach“ spricht sie im Dunkeln, aus dem Off. Man sähe ihr schon gern ihr Gesicht, wenn sie begreift (begreift sie’s?), dass sie mit dem höchsten der Götter im Bett war. Und einen Sohn erwartet; man wird ihn Herkules nennen.

Wie ein Halbgott fühlt sich Feldherr Amphitryon, als er endlich zu Hause einmarschieren will, der Besieger Athens. Samuel Fintzi kann das gut – um Fassung ringen. Zum Idioten werden. Ein halbes Dutzend Mal lässt Bachmann die Stelle wiederholen, als Amphitryon vor seiner Haustür steht und von Sosias wissen will, was da faul ist. Aber sofort verliert die Komik wieder an Fahrt. Bachmann größtes Problem: Er ist unentschlossen, wie klamottig oder tragisch sein Kleist nun sein soll. Und auch das Bühnenbild von Johanna Pfau bremst: die Fassade eines Appartementhauses, dahinter die Kissengruft mit dunkelroten Wänden.

Der Winter ist zurück, Stefan Bachmann haben wir wieder, Grübers traumhafter „Amphitryon“ mit Jutta Lampe, Otto Sander, Peter Simonischek, Udo Samel war vor urzeitigen fünfzehn Jahren. Ach, seufzt der Schnee unter den Schuhen. Knirsch.

Wieder am 5., 6. und 13. Januar.

Rüdiger Schaper

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