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Kultur: Das Drama der Mechanik

Sehnsucht nach Dingen, die man reparieren kann: Wie im Pianosalon Christophori Klaviere wiederauferstehen

Die kleine Pianowerkstatt in der Senefelder Straße ist überfüllt. Ein später Gast schiebt sich am Flügel vorbei, zeigt fragend auf den Klavierhocker, neben dem Ulugbek Palvanov gerade seine Noten der Rachmaninoff-Préludes sortiert. Entgeistert schaut der Pianist auf. Der Nachzügler schiebt sich weiter in den Raum zu dem Regal mit den Lackflaschen. Dort teilt ein schlanker Mann mit Drei-Tage-Bart gerade die letzten Klapp stühle aus und versucht gleichzeitig, die vorderen Plätze für diejenigen frei zu halten, deren Namen auf handgeschriebenen Reservierungsschildchen stehen. Der Mann mit den Klappstühlen heißt Christoph Schreiber und ist der Initiator der Konzerte, die mehrmals im Monat in seiner Werkstatt, dem Pianosalon Christophori, stattfinden. Gespielt wird immer auf historischen Instrumenten, die Schreiber selbst restauriert hat. Es ist seine Leidenschaft – hauptberuflich arbeitet Christoph Schreiber als Neurologe im Unfallkrankenhaus Marzahn.

Wie passt das zusammen? „Die Arbeit als Neurologe ist spannend, hat aber enormes Frustrationspotenzial“, erzählt Schreiber. Denn Nervenkrankheiten kann man häufig nur diagnostizieren und nicht behandeln: „Es ist schlimm, so wenig ausrichten zu können.“ Deswegen suchte er sich etwas, das man reparieren kann. Vor zehn Jahren ersteigerte der Arzt, der selbst von klein auf Klavier spielt, einen 100 Jahre alten Hammerflügel bei Ebay, „ein richtiges Wrack“. In Klagenfurt ließ er sich von einem bekannten Klavierbauer in die Kunst des Restaurierens einführen. Etwas historisch Wertvolles wieder instandgesetzt zu haben, war für Christoph Schreiber ein Erweckungserlebnis – das fehlende Glied in der Kette seiner Lebensplanung. „Die Klaviere haben mein Leben gerettet!“ sagt er heute. Inzwischen hat er zahllose Flügel restauriert und besitzt selbst 80 Stück davon, die in einem Lager hinter seiner Werkstatt gestapelt sind. Sein Arbeitszyklus besteht nun aus je einer Woche von weit mehr als 60 Stunden im Krankenhaus und einer Woche Arbeit im Pianosalon.

Die Konzertreihe entsteht fast nebenbei. Schreiber, zudem auch noch Vater zweier Kinder, scheint mit all dem nicht überfordert, sondern so davon erfüllt, dass man neidisch werden kann. Er wirkt ausgeglichen und glücklich. Und er strahlt die Ruhe aus, um die er das Publikum im Pianosalon nun bittet. Mit dem Programm kündigt er auch den jeweils wechselnden Flügel des Abends an. Die Pianisten sind meist Kunden, die bei Christophori das für ihr Repertoire passende Instrument gefunden haben. Gerne sind die Musiker bereit – Berliner Größen ebenso wie internationale Preisträger – sich im Rahmen intimer Hauskonzerte an den wieder instandgesetzten Flügeln zu präsentieren.

Heute stehen Rachmaninoff-Préludes und ein Instrument von August Förster auf dem Programm. Beide sind nach 1880 entstanden. Eigentlich bearbeitet Schreiber nur ältere Exemplare, doch etwas derart Besonderes wie diesen Auftrag des Berliner Konzerthauses lässt der in der Prignitz Aufgewachsene sich nicht entgehen: Von dem Modell „Quattrochord“ gibt es weltweit nämlich nur drei Stück. Schreibers Augen leuchten. „Jede Taste schlägt nicht wie üblich nur zwei oder drei, sondern vier gleich gestimmte Saiten an.“ Das ermöglicht einen vollen Klang auch der leisen Töne.

Tatsächlich ist der Ton in Schuberts Impromptus op. 90 gedämpft, fast matt und dabei dennoch ungeheuer fein gezeichnet. Ulugbek Palvanov schwelgt im Klanggenuss, der durch gelegentliche Ausbrüche scharfer Klarheit nur noch verstärkt wird. Dann der Rachmaninoff. Hier und da schnarrt und hapert es noch. Der Vortrag ist – wie das Instrument – noch nicht ganz fertig. Palvanov wird den Flügel erst im Januar im Konzerthaus offiziell einweihen. Was aber heute zählt, ist nicht Perfektion, sondern die Nähe, die man hier zu Künstlern erfährt.

Im Publikum sitzen Kenner und befreundete Künstler, aber auch Laien und Passanten. Das Ambiente ist bewusst angelehnt an die bürgerlichen Salons in den Pariser Piano- Manufakturen des 19. Jahrhunderts, der Salle Pleyel oder Maison Erard. Das ist der Musik viel angemessener als die heutigen Tempel der Hochkultur, findet Schreiber. „Ab 1900 begannen die Flügel sich gewaltig zu ähneln, es ging immer mehr um Lautstärke für die großen Hallen. Ursprünglich gab es viel mehr Entwicklung. Die Mechanik war auf die jeweils aktuelle Musik abgestimmt. Und dazu wollte jeder das schönste Instrument bauen. Manche Flügel sind sogar untenherum noch mit Mahagoni furniert.“

An Nachschub kommt Schreiber inzwischen übers Telefon. Auftraggeber gibt es genug. Obwohl er aber längst eine etablierte Adresse ist, trägt sich der Salon finanziell gerade mal selbst und die Konzertreihe ist nur durch Spenden zu halten. Oft sitzen Kapuzenpulli- und Anzugträger noch lange nach dem Konzert bei Rotwein zusammen und zelebrieren die Rituale der Bohème. Christoph Schreiber sitzt in der Ecke mit den Teekännchen, die er sammelt, seit er zwei Jahre in Indien war. Sie sind das Einzige in der Werkstatt, das nicht zum Restaurieren von Hammerflügeln taugt. Am Montag beginnt dann wieder eine Dienstwoche im Unfallkrankenhaus.

Wieder am 9. Januar. Infos unter: www.konzertfluegel.com

Paul Bräuer

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