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Kultur: Das elegante Fräulein Heck

Vorbesichtigung bei Grisebach: Corinth, Botero und Münter sind die Spitzenwerke des Frühjahrs.

Das leuchtende Rot des Schirms setzt den stärksten Akzent in der sommerlich bewegten Landschaft, in der Lovis Corinth 1897 das elegante „Fräulein Heck“ im Boot auf dem Starnberger See porträtierte. Himmel und Wasser stehen mit zuckenden Pinselhieben im Kontrast zu der besinnlich, mit gesenktem Blick dargestellten Frau. Das aparte Querformat gehört mit einem Schätzpreis von 200 000 bis 300 000 Euro zu den Highlights der diesjährigen Frühjahrsversteigerungen in der Villa Grisebach. Vor über zehn Jahren war es schon einmal dort und erzielte 255 000 D-Mark.

Ein marktfrischer „Frühling“ von Lesser Ury macht den Auftakt der insgesamt 62 ausgewählten Werke. 1902 versetzte Ury einen stillen, märkischen See mit betörender Farb- und Lichtgestaltung in frühlingshaftes Flirren (50 000-70 000 Euro). Otto Modersohn, Begründer der Worpsweder Künstlerkolonie, ist mit typischen „Birken am Moorkanal“ (100 000-150 000 Euro) vertreten, die jedoch neben der stilistischen Kühnheit des „Schafhirten“ von Paula Modersohn-Becker verblassen. Ihr geradezu haptisch gekratzter Duktus ist denn auch höher bewertet.

Insgesamt scheint sich auch bei Grisebach der traditionelle Schwerpunkt der Klassischen Moderne zu verlagern. Knapp die Hälfte der Gemälde und Skulpturen der exklusiven Abendauktion sind nach 1945 entstanden, und die zwei höchstbewerteten Lose unterstreichen dieses Verhältnis: Gabriele Münters „Am Starnberger See“ und Fernando Boteros „Großmütterchen“ gehen mit einem Schätzpreis von jeweils 300 000 bis 400 000 Euro ins Rennen. Taxen, die sonst das gehobene Mittelfeld bilden. Auch das fällt beim Blick in die sechs Kataloge auf. Werke, deren Strahlkraft an der magischen Millionengrenze kratzen, fehlen – und nicht nur in Berlin, sondern ebenso in München oder Köln. Dabei hat sich der Auktionsmarkt international gerade wieder in neue Höhen aufgeschwungen. „Eigentlich eine gute Zeit, um zu verkaufen“, sagt Micaela Kapitzky als Geschäftsführerin von Grisebach. Allein am Willen der Einlieferer hapere es. Zumindest in Deutschland scheint die Luft nach oben dünner zu werden. Der Handel konzentriert sich auf die USA und Großbritannien, die jedoch laut TEFAF-Studie im vergangenen Jahr von China als neuem Marktführer abgelöst wurden. Deutschland rangiert mit zwei Prozent auf Platz sechs, hinter Frankreich und der Schweiz.

Nicht zuletzt eine Folge der unterschiedlichen Regularien und Steuern innerhalb der EU. In dieser Hinsicht wäre die Umsetzung der von der EU geforderten Mehrwertsteuererhöhung für Kunst auf 19 Prozent fatal. Bei den Auktionshäusern trifft das gerade den Handel mit Nicht-EU-Partnern. „Es geht nicht darum, dass der Staat nicht seinen Obolus haben soll, es geht um Chancengleichheit gegenüber den anderen Mitbewerbern“, sagt Bernd Schultz. „Aber durch die aktuelle Debatte hat sich die Sensibilität erhöht." Ein Kompromiss wäre die in Frankreich praktizierte Differenzbesteuerung, wo nicht der Gesamtwert, sondern der Gewinn zugrunde gelegt wird. Den Wettbewerbsnachteil kann man an Münters Gemälde deklinieren. Eingeliefert hat es ein Schweizer Privatsammler. Würde es zum unteren Schätzpreis einem EU-Bürger zugeschlagen, läge der Gesamtpreis derzeit bei 401 250 Euro. Eine Umsetzung der EU-Forderung würde den Kauf dann auf 446 250 Euro verteuern. In England käme die kleine Landschaft auf 405 000 Euro, ein US-Käufer müsste lediglich 375 000 Euro zahlen. „Eine sicherlich ungewollte Kultur-Export-Förderung“, so Schultz.

Großen Charme hat Werner Heldt seiner Variation „Berlin am Meer“ verliehen, die für 50 000 bis 70 000 Euro aufgerufen wird. In der unmittelbaren Nachkriegszeit symbolisierten seine Häusermeere die Sehnsucht nach Freiheit. Mit Thomas Struths „San Zaccaria, Venedig“ (150 000-200 000 Euro) hat es auch eine Fotografie in die Ausgewählten Werke geschafft. Wenngleich der Fotografieauktion damit ein kapitales Stück entgeht, ist sie mit Massimo Vitali, Rineke Dijkstra oder Thomas Ruff gut aufgestellt. An der Schnittstelle zu den Klassikern ragt Otto Steinerts „Verspielter Punkt“ von 1948 heraus (15 000-17 000 Euro). Nicht selten, aber beeindruckend sind Jakob Hilsdorfs Porträts des greisen Adolph von Menzel (300-800 Euro). Ein federleicht aquarelliertes Selbstbildnis des Malers (20 000-25 000 Euro) offeriert die Abteilung des 19. Jahrhunderts. Hauptlos ist Franz Ludwig Catels Fischerszene im Golf von Neapel (120 000-150 000 Euro). Das 1821 entstandene Gemälde ist das früheste der insgesamt über 1000 Kunstwerke bei Grisebach. Den zeitlichen Rahmen beschließt Günther Uecker mit einer 2011 genagelten „Spirale“ (100 000- 150 000 Euro), deren Erlös seiner Heimatgemeinde Rerik zugutekommt.

Villa Grisebach, Fasanenstr. 25; Vorbesichtigung bis 28.5. (10-18.30 Uhr) & 29.5. (10-17 Uhr) / Auktionen: 30.5. - 19. Jahrhundert (14.30 Uhr) & Fotografie (17 Uhr); 31.5. - Ausgewählte Werke (17 Uhr); 1.6.- Klassische Moderne (11 Uhr) & Kunst nach 1945 (14.30 Uhr), 2.6. - Third Floor (ab 11 Uhr)

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