zum Hauptinhalt

Kultur: Das Ende des zwölfjährigen Friedens

Was haben Sie dem Kanzler gesagt? Nicht viel Neues, nehme ich an.

Was haben Sie dem Kanzler gesagt? Nicht viel Neues, nehme ich an. Ich neige nicht dazu, Gerhard Schröder zu unterschätzen. Noch weniger, mich zu überschätzen. Ein Schriftsteller, dem die große Geste und der große Ernst fern liegen, kann als geschulter Fantasieproduzent höchstens dazu beitragen, eventuell vorhandene Fantasien und Illusionen zu minimieren. Mehr Kompetenz traute ich mir jedenfalls nicht zu im Kreis der Autoren, die den Bundeskanzler am Samstagabend vier Stunden lang kritisierten und mit Anregungen versorgten.

"Sie sind dazu da, uns die Arbeit schwer zu machen", meinte Schröder. Was die anderen zwanzig Gäste sagten, will ich nicht journalistisch unzulässig verkürzen, die Meinungen waren durchaus unterschiedlich, und neue Argumente gab es auch. Ich kann nur die Stichworte etwas ausführen, die ich dort im Bankettsaal in vier, fünf Minuten angetippt habe.

Was ich dem Kanzler gesagt habe? "Bin Laden kann nicht verlieren."

Das ist ein Zitat, die zentrale These des britischen Historikers und Präsidenten des Londoner Instituts für Internationale Strategische Studien, Sir Michael Howard. Ob Bin Laden und seine Leute gefangen, in die Flucht geschlagen oder getötet werden - seine Anhängerschaft wird wachsen, die äußere und innere Unsicherheit durch Terror wahrscheinlich auch.

In der "tageszeitung" vom 7. November analysiert Howard mit viel Verständnis die politische und militärische Logik des Westens und kommt zu dem Fazit: "Mit Volldampf in die Niederlage." Andere Afghanistan-Islam-Militär-Experten sehen das ähnlich, fast alle sind sich einig, dass "der Westen" schon tief in der Falle dieses Krieges steckt.

Damit das klar ist: Auf die entsetzlichen Attacken des 11. September muss hart reagiert werden, auch mit militärischen Mitteln, auch mit Hilfe der Bundeswehr. UN-Resolutionen, Nato-Beschlüsse und die Solidarität mit den USA stehen nicht zur Disposition. Härte ohne Klugheit aber wird zur Schwäche. Von solcher Klugheit der Militärs ist nicht viel zu erkennen. Streubomben, zahllose Fehltreffer, zu viele tote Zivilisten und selbst Nahrungspäckchen in der Bombenfarbe Gelb sprechen eher für Dummheit und Unfähigkeit.

Es ist leicht, sagte ich ungefähr, zu moralisieren und mit guten Worten den bösen Krieg zu beklagen. Es ist noch leichter, mit dem Konjunktiv zu moralisieren und zu fragen: Was wäre wenn, hätte Bush dies oder das oder dies und das nicht getan oder gesagt, hätte die deutsche Regierung nicht an diesem oder jenem Punkt ...

Für solche Gedankenspiele ist die Lage zu ernst. Das Besserwissen nützt genau so wenig wie der sture Pazifismus oder der sture Militarismus.

Die Deutschen werden zur Kenntnis nehmen müssen, dass unser schöner zwölfjähriger Frieden - vom 9. 11. zum 11. 9., von 1989 bis 2001 - zu Ende ist. Die Ahnung hiervon schwebt seit dem 11. September durch unsere Köpfe, aber die bittere Wahrheit dieser Ernüchterung will, so scheint mir, unser Bewusstsein noch nicht richtig annehmen. Wir werden uns, wenn Howard und die anderen Experten auch nur halb Recht haben sollten, auf ein jahrelanges kriegerisches Unentschieden einstellen müssen. Es wird in absehbarer Zeit keine Sieger geben, jedenfalls nicht gegen den Terror des Religionsfaschismus.

Von diesem Punkt, versuchte ich zu sagen, müsste die Politik heute ausgehen. Wie leben wir mit diesem kriegerischen Unentschieden? Was können die Deutschen, die Europäer tun, um neben den militärischen auch mit zivilen Beiträgen den Terror und die Ausweitung des Terrors einzudämmen? Arbeit für eine gerechtere Weltwirtschaftspolitik und bessere terms of trade, substanzielle Hilfe für die Hungernden, das wäre selbstverständlich. Vor allem mit einer großen Bildungs- und Kultur-Offensive, wie sie Michael Naumann vorgeschlagen hat. Nicht nur hierzulande, ebenso in den islamischen Ländern, wo die Goethe-Institute einen dreifachen, zehnfachen Etat brauchen, und vieles mehr.

Das mag, und das sagte ich nicht mehr, lächerlich klingen, aber was hilft sonst gegen die militanten Religionskämpfe, als Bildung, Aufklärung, Freiheit, Weltkenntnis ("Wer nicht liest, kennt die Welt nicht", so Arno Schmidt)? Das reicht nicht gegen den aufkommenden Religionsfaschismus, aber ohne solche Offensiven verlieren wir "den Kampf um hearts and minds" (Howard). Denn: "Die Frontlinie in diesem Kampf ist nicht in Afghanistan. Sie liegt in den islamischen Staaten ( ...) und verläuft auch durch unsere eigenen Straßen."

Allen Wortmeldungen hörte Schröder sehr genau zu, machte hin und wieder Notizen. Seine Bemerkungen darauf wirkten klug, durchdacht und von angenehmer Entschiedenheit. Am Ende gab ich ihm eine Kopie des Artikels von Michael Howard, hoffend, dass dieser irren werde.

Wer mag in dieser Lage schon Recht behalten wollen.

F. C. Delius

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false