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Kultur: Das Feindbild...

Fortsetzung von Seite 25 Der Soziologe und Publizist Natan Sznaider bezeichnet solche Phänomene als „Verrücktheit“, man könnte es auch Ungleichzeitigkeit nennen: Das sich zunehmend postnational gebende Europa hat kaum noch Verständnis für Israel als Ausdruck eines ethnisch-nationalen Projektes. (Und aus einer pazifistischen Grundstimmung heraus tut man sich in Europa schwer damit, Krieg als politische Kategorie zu akzeptieren.

Fortsetzung von Seite 25

Der Soziologe und Publizist Natan Sznaider bezeichnet solche Phänomene als „Verrücktheit“, man könnte es auch Ungleichzeitigkeit nennen: Das sich zunehmend postnational gebende Europa hat kaum noch Verständnis für Israel als Ausdruck eines ethnisch-nationalen Projektes. (Und aus einer pazifistischen Grundstimmung heraus tut man sich in Europa schwer damit, Krieg als politische Kategorie zu akzeptieren. Dass Israel seine Existenz in mehreren Kriegen verteidigen musste, wische der entpolitisierte und undifferenzierte Slogan „Krieg ist Scheiße“ schlicht beiseite.)

Es fällt schwer, den Übergang von radikaler Israelkritik zu antisemitischen Mustern zu definieren. Und es wird nicht einfacher dadurch, dass die Scharon-Regierung den gegen Europa gerichteten Vorwurf des Antisemitismus offensiv benutzt, um Kritik an der eigenen Politik abzuwehren.

Eindeutiger sind die Fälle, wenn aus verbalen Attacken Gewalt wird. Und hier ist ein deutlicher Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt sichtbar. Die antisemitische Welle im Frühjahr 2002 ging einher mit der israelischen Militäraktion im Flüchtlingslager von Dschenin. Und sie ging oft von Muslimen in Europa aus.

Ein linksliberales Milieu

Antisemitische Gewalt in Einwanderermilieus wurde lange als Reaktion einer ausgegrenzten Minderheit gesehen, die ihrem Frust Luft macht. Inzwischen ist klar, dass es hier ideologische Prägungen gibt. Seit Jahrzehnten sind Muslime in Europa einer Flut von antisemitischer Propaganda ausgesetzt, finanziert etwa von Syrien, dessen Verteidigungsminister Mustafa Tlas in „Matzah of Zion“ einen angeblichen Ritualmord in Damaskus behauptet, von Saudi-Arabien oder islamistischen Organisationen wie Hamas und Islamischer Dschihad, in Deutschland auch der Kalifatstaat, Mili Görus und Hisb- u-Tahrir. Aggressiver Antisemitismus wird zur globalen Verlängerung des Kampfes gegen Israel. Und im Islamismus wird er dann auch zum Hauptbestandteil einer religiös gefestigten Ideologie, die Brumlik in die großen totalitären Systeme der Moderne einreiht neben Nazitum und Bolschewismus. Wie gefährlich das werden kann, zeigt sich am hohen Organisationsgrad von Islamisten auch in Deutschland. Von etwa 3,5 Millionen Muslimen werden 40 000 zum fundamentalistischen Milieu gerechnet.

Genauso hoch ist etwa die Zahl von Rechtsextremisten – gemessen an der Mehrheitsgesellschaft ein mehr als 20 Mal geringerer Anteil. Es sei ihm deshalb auch „völlig unklar“, sagte der Islamismusexperte Eberhard Seidel, „warum Wissenschaftler in Deutschland bisher noch keine Umfragen zu Einstellungen unter Muslimen in Deutschland gemacht haben“. Seidel hat mit seinen antirassistischen Schulprojekten die Erfahrung gemacht, dass antisemitische Stereotypen bei muslimischen Jugendlichen in Deutschland weit verbreitet sind. In Frankreich kann an vielen Schulen in Einwanderervierteln deshalb schon gar nicht mehr über den Holocaust unterrichtet werden.

Es ist nicht zuletzt die Schuld eines linksliberalen juste milieu, dass antisemitische Weltbilder unter Muslimen so lange ignoriert wurden. Zu welchen absurden Ergebnissen das führt, zeigte sich an der von der EU-Behörde zur Beobachtung von Fremdenfeindlichkeit (EUMC) in Auftrag gegebenen Studie über antisemitische Vorfälle in Europa. Die Studie war vom „Zentrum für Antisemitismusforschung“ in Berlin erstellt worden. Veröffentlicht hat sie das EUMC dann aber nicht, weil man nicht wollte, dass junge Muslime aus dem arabischen Raum als eine der Tätergruppen identifiziert wurden. So werden Antirassisten ohne es zu wollen zu Komplizen von Antisemiten. Und haben dabei auch noch ein gutes Gewissen - schließlich setzen sie sich für eine tolerantere Gesellschaft ein.

Eine Gesellschaft jedoch, die, wie der Sozialpsychologe Harald Welzer bemerkte, normative Wertsetzungen immer öfter verweigert. Also davor zurückschreckt, gerade gegenüber Einwanderern einen Wertekonsens zu formulieren, hinter den man nicht bereit ist zurückzugehen. Das wäre aber dringend nötig - gerade wenn es um Antisemitismus geht. Der hat schließlich in Europa seine furchtbarsten Ergebnisse gezeitigt.

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