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Kultur: Das Fiepen der Freiheit

Der Jazz-Saxofonist Gebhard Ullmann ist in Amerika ein Star, in Berlin ein schräger Vogel

Eine New-York-Geschichte: Ein Klavier spielt gerade eine naive Melodie, die Einleitung in eine melancholisch schlurfende Rumba, als dieser Ton einfällt – ein Saxofon, ein Tenor, schroff grummelnd, mit schwer atmendem Vibrato. Ein jäher Stilbruch dieser Ton, der das romantische Moll aufnimmt, überbläst, auf den Kopf stellt. Und sich doch sofort wieder um die Melodie kümmert, rührend in seiner Grobheit.

Der Ton gehört Gebhard Ullman, der mit seiner Band Conference Call gerade vor das Publikum getreten ist, um ein Drama zu inszenieren. Es geht um die Infragestellung aller musikalischen Strukturen, und um das anschließende Bekenntnis zu ihnen. Paradox, gewiss. Mit Ullmann spielen drei der angesagtesten New Yorker Musiker aus einer Szene, die früher Free Jazz hieß, später Avantgarde, heute freie Improvisation. Oder eben: Jazz. Ullmann ist auf Tournee durch Amerika: New York, Chicago, Südstaaten, dann ein paar Festivals in Kanada. Der 47-Jährige aus Bad Godesberg ist ein Star dieser Szene, seine CDs werden in den führenden amerikanischen Jazzzeitschriften wie „Down Beat“ besprochen, mit Wertungen in einem Bereich, in den auch Heroen wie John Coltrane nur gelegentlich vorgedrungen sind. Seine Bandmitglieder hat er in seinem ehemaligen New Yorker Bezirk Park Slope in Brooklyn kennen gelernt. Da wohnen sie fast alle, konzentriert auf ein, zwei Häuserblocks. „Morgens trifft man sich beim Bagelkaufen“, sagt Ullmann. Und abends besuchen sie die Konzerte ihrer Nachbarn.

Nun steht er selbst mit kahl geschorenem Kopf auf der Bühne, links und rechts ein paar Ohrringe. Setzt er das Saxofon an den Mund, verformt sich seine ganze Physiognomie. Die Stirn kräuselt sich, die Wangen spannen sich an wie ein einziger Muskel – das Gesicht eines Kompromisslosen, der tut, „was immer die Musik verlangt“, wie er erklärt. „Wenn angesagt ist: Jetzt wild und frei, dann ist es eben so. Und wenn die Leute rausrennen, rennen sie eben raus, spielt doch keine Rolle.“ Nachsicht können seine Zuhörer nicht erwarten, seine Musik kann Kopfweh machen.

Doch wem es gelingt, sich auf die blitzschnellen Kontrapunkt-Kompositionen einzulassen, wem das Schmirgeln von Vierteltönen nichts anhaben kann, den schleudert die Musik seines Quartetts gegen die Wand. Wie auf der neuen Live- CD von Conference Call, „Spirals“ (482 Music) , aufgenommen im Berliner Club b-flat.

Eine Berlin-Geschichte: Die beiden Männer kosten es aus. Ein Tritonus, das schrillste der schrillen Intervalle. Gespielt im lieblichsten Klarinetten-Säuseln. Eine schwer zu überbietende Reibung. Ullmann will sie steigern: Er schichtet mit seiner Bassklarinette noch einen Halbton oben drauf, gespielt als schnarrenden Oberton. Wenn das nicht so zart klänge, man würde die vor wenigen Monaten erschienene CD seines Klarinetten-Trios „Ballads and Related Objects“ (Leo Records) sofort ausschalten. Doch man beginnt die Anspielung zu verstehen: Es ist eine Variation auf Claude Debussys Querflötenstück „Syrinx“, ein Klassiker des Impressionismus.

War es Debussy mit seinem Stück gelungen, trotz fortschrittlicher Ganzton-Harmonik eine lyrische Melodie zu schreiben, kehrt Ullmann das Prinzip um: Je lyrischer der Ton, desto beißender die Harmonik. Das Klarinetten-Trio mit Jürgen Kupke und Michael Thieke ist eines dieser Projekte, in denen man die Berliner Seite von Gebhard Ullmann heraushört. Kammermusikalisch, ohne Schlagzeug und Bass, noch radikaler als die New Yorker Bands in klassischer Jazzbesetzung. Manchmal kommen nur eine Hand voll Zuhörer zu den Konzerten des Trios, Ullmann gilt in Berlin als schräger Vogel. Er sitzt in seiner herrschaftlich restaurierten Siebenzimmerwohnung in Berlin- Mitte und sagt: „Die meisten Musiker hier haben meine Musik noch nie gehört. Und trotzdem gibt es lauter Gerüchte über mich. Ich sei ein Geschäftsmann und so. Das ist typisch deutscher Sozialneid.“ Dann lacht er ein kurzes, hartes Lachen und sagt: „Komisch, ne?“

Seine Berliner Geschichte hat ihren Anfang 1983, als er aus Hamburg kam, wo er neben Musik auch Medizin studiert hatte. Es war eine Zeit, in der sich West- berlin im Umbruch befand. In der Kunst- und Punkszene rissen Gruppen wie „Die tödliche Doris“ das Geschehen an sich, im Jazz waren es junge Wilde wie Ullmann und Günter Lenz. Er wollte erfolgreich sein, die Tür zu großen Festivals aufstoßen. Mit poppigen Gruppen wie „Die Elefanten“ erreichte er ein so breites Publikum wie später nie mehr, mit den Minimal Kidds gelang ihm sogar ein Clubhit. Doch plötzlich, Ende der Achtzigerjahre, kam ihm das Glück abhanden. Statt zu einer Pop-Karriere kam es zum Zerwürfnis mit der Plattenfirma, und Auftritte bei Festivals blieben Ullmann auch versagt. „Das war Frustration. Ich habe gesagt: Okay, wenn alle nach New York gehen, dann mache ich das eben auch, mal gucken, wie weit ich da komme.“

Mittlerweile ist Ullmann von New York nach Berlin zurückgekehrt. Sein amerikanischer Ruhm beschert ihm zu Hause etwas von der Anerkennung, die er sich früher ersehnt hat. Im letzten Jahr bot ihm die NDR Big Band an, gemeinsam ein Programm seiner Kompositionen zu erarbeiten. Pünktlich zu seinem 20. Bühnenjubiläum ist „The Big Band Project“ nun auf CD erschienen (Soul Note). Ein famoses Stück durcharrangierter Freiheit, dem die Spannung zwischen den Musikern anzuhören ist. „Es war nicht immer leicht und nicht jeder war begeistert von der Musik. Um es mal so auszudrücken." Noch einmal lacht er kurz und hart. Wahrscheinlich denkt er: Spielt doch keine Rolle.

Gebhard Ullmanns Klarinetten-Trio: 11.Februar, Aufsturz (Oranienburger Str. 67, Prenzlauer Berg), Beginn 21 Uhr.

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