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Kultur: Das fliehende Klassenzimmer

Ausgezaubert: Mike Newells Action-Version von „Harry Potter und der Feuerkelch“

Der schlimmste Drache ist die Pubertät. Nichts hat hässlichere Klauen, einen fauleren Atem, feurigere Fieberschübe und schuppigere Haut. Und natürlich erwischt es Ron am meisten, Harrys besten und stets glücklosen Freund. Ihm sind die Haare fettig bis auf die Schultern gewachsen, er fühlt sich im ausgeflippten Festkostüm seiner Mutter so unwohl wie auch sonst meist, er errötet aufs Lächerlichste, wenn ihn die französische Austauschschülerin auf die Wange küsst, und er wittert Vertrauensbruch dort, wo sein Freund Harry selbst völlig überrumpelt war. Rums, dreht sich Ron zur Seite, zieht die Decke über den Kopf, faucht: „Verpiss dich“ und stellt sich schlafend.

Wo die Freundschaft zu Bruch geht, ist auch die Kindheit zu Ende. Und mit ihr das kindliche Vergnügen, das man zumindest an den ersten beiden, eingeschränkt auch noch am dritten Harry-Potter-Film haben konnte. Vorbei die Zeit der liebevollen Ausmalung der Roman-Details, vorbei die spannenden Quidditch-Turniere, die nächtlichen Ausflüge durch das Zauberschloss Hogwarts, die Schulaufgaben und die Vorfreude auf einen noch verrückteren Lehrer in der Verteidigung gegen die schwarzen Künste.

766 Seiten hat die deutsche Ausgabe von „Harry Potter und der Feuerkelch“, da muss sich der Film trotz solider 156 Minuten Laufzeit schon sehr hetzen, um durch die einzelnen Episoden zu kommen. Quidditch-Weltmeisterschaft samt Massenpanik, Trimagisches Turnier in drei Disziplinen, Weihnachtsball mit ersten amourösen Verwicklungen, Auferstehung des Lord Voldemort und Enttarnung seines Agenten: Man müsste schon ein Zauberkünstler sein und den Film so ausdehnen können wie Rons Vater ein einfaches Zelt, um all das geräumig und entspannt dort unterzubringen.

Hinzu kommt, dass die Zauber-Aufgaben für Harry immer anspruchsvoller werden: gefährlichen Drachen ein goldenes Ei entreißen, unter Wasser mit Nixen kämpfen oder sich durch ein riesiges, beständig nachwachsendes Labyrinth kämpfen – das sind die Aufgaben des Trimagischen Turniers, das zwischen den Zauberschulen Hogwarts, Beauxbatons und Durmstrang abgehalten wird. Da ist schon viel Tricktechnik vonnöten, ebenso für das gigantische Quidditch-Stadion an Südenglands Küste oder für die Wiedererstehung des Lord Voldemort aus einem Zauberkessel um Mitternacht.

Doch alle Tricks täuschen nicht darüber hinweg, dass die Potter-Filme immer dann stark sind, wenn sie auf ihre von Autorin J. K. Rowling so liebevoll ausgemalten Charaktere setzten, für die sich die crème de la crème der britischen Schauspieler bereitwillig einspannen ließ. Kenneth Branagh als eitler Professor Lockhard, Alan Rickman als intriganter Severus Snape, Maggie Smith als strenge Mrs. McGonagall, Emma Thompson als verwirrte Sternendeuterin Sibyll Trelawny und Gary Oldman als sinistrer Sirius Black waren Highlights der vorangegangenen Filme. Auch diesmal hätte es wieder gute Chancen gegeben. Immerhin Ralph Fiennes als Lord Voldemort schlägt sich wacker als entstellter Invalide, mit Reminiszenzen an seine Rolle als „englischer Patient“. Doch schon Miranda Richardson als Klatschreporterin Rita Skeeter ist nicht mehr vergönnt als ein knappes Interview in der Besenkammer. Und bei den Sportkontrahenten der anderen Zauberschulen ist man vollends beim Klischee gelandet: Die Französinnen als verführerische Sirenen, die Russen als militaristische Mannschaftskämpfer, das ist so plump wie ärgerlich.

Am problematischsten jedoch ist die Entwicklung der Hauptfigur. Daniel Radcliffe, einst ein süßer Junge, ist zum ungelenken Jugendlichen erwachsen, ohne gleichzeitig die nötigen schauspielerischen Fähigkeiten zu entwickeln. Wenn er, wie in Interviews angekündigt, die Rolle bis zum Schluss, bis zum Film Nr. 7 spielen will, dürften die Regisseure ein zunehmendes Problem haben. Schon Mike Newell, erster Engländer als Regisseur, nach Chris Columbus und Alfonso Cuarón, kann seine ausgewiesenen komödiantischen Fähigkeiten, die er in Filmen wie „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ zeigte, nicht richtig anbringen. Es ist viel Horror in „Harry Potter und der Feuerkelch“. Doch vom wahren Horror des Erwachsenwerdens ist es nicht genug.

In 30 Berliner Kinos, OV im Cinemaxx Potsdamer Platz und Cinestar Sonycenter

Christina Tilmann

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