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Kultur: Das fünfte Rad am kaputten Wagen

Komisches Wort: Kulturpolitik. Seltsam aber auch die Umkehrung: politische Kultur.

Komisches Wort: Kulturpolitik. Seltsam aber auch die Umkehrung: politische Kultur. Vom Letzten hat man meist wenig, vom Ersten oft im Überfluss. Früher einmal, sehr lang ist es nicht her, galt Berlin sogar als Hauptstadt der Kulturpolitik ...

Stadtschloss-Debatte, Museumsinsel-Pleite, Opern-Dämmerung! Man durfte keine Ausschusssitzung im Abgeordnetenhaus mehr verpassen, die Feuilletons quollen alle Tage über mit Zahlenwerk und Horrorszenarien, und die Intendanten waren Helden wie Schurken, echte dramatis personae in einem Stück, in dem es um das Schicksal des Abendlandes zu gehen schien. Und nun - haben wir morgen Neuwahlen, und die Kulturpolitik ist das fünfte Rad an einem Wagen, der ohnedies nicht von der Stelle kommt.

Wie eine Eisreklame am Winterstrand

Einen Berliner Wahlkampf hat es nicht gegeben. Die Wahlplakate dümpeln im Stadtbild herum wie Eiscreme-Schilder an einem winterlichen Badestrand. Es gibt zur Zeit nicht nur keine Kulturpolitik, es interessiert sich überhaupt kaum jemand für Landespolitik. Gewinnen wird die Wahl wohl der, der am wenigsten wackelt: der dickste Mikado.

Dass man sich im Augenblick nicht so wahnsinnig intensiv mit, sagen wir mal, einem drohenden Tarifkonflikt von Orchestermusikern beschäftigt, ist dem Terror und dem Krieg, dem Unbegreiflichen, Unwägbaren geschuldet, der Angst und dem Gefühl, dass es Wichtigeres gibt als Spielpläne, neue Buchtitel, Kunstmessen, Vernissagen. Aber das ist es nicht allein. Schon vergessen, wie es zu dieser Wahl kam? Berlin ist pleite, ein Bankenskandal hatte dem Fass den dünnen Boden ausgeschlagen. Der Spielraum für kulturelle Projekte und Institutionen ist so eng wie noch nie, in unseren vergleichsweise luxuriösen Verhältnissen. Sinnlos also, über Geld zu reden, das auf lange Sicht nicht vorhanden sein wird.

Berlins Kulturpolitik - den Präfix Kultur kann man allmählich weglassen - war im vergangenen Jahrzehnt von Aktionismus geprägt. Und zugleich von sturer Beharrlichkeit. Als das lustige Geldausgeben mit der Wende ein natürliches Ende fand, wurden hektische Theaterschließungen exerziert. Als Nächstes sollten sich die Häuser, die diese Welle überstanden hatten, in wilde Flurbereinigungen stürzen. Man nannte das "Opernstrukturrefom", "Theater-Evaluierung" oder "Berlin-Ballett": alles längst Makulatur. Es passen nur noch Paradoxe: Sprunghafte Aussitzer haben die Kulturszene in Atem gehalten, in einer Stadt, die zwischen Bund und Borke hängt. Kulturpolitik hatte Hochkonjunktur - und hat sich dabei gründlich verausgabt. Auch verabschiedet?

Noch schneller, noch spektakulärer als die Kulturreformpapiere purzelten die Kultursenatoren. Christa Thoben (drei Monate) und Christoph Stölzl (gut ein Jahr) blieben Übergangschefs in einer verkrusteten Kulturverwaltung. Peter Radunski blieb eine ganze Legislaturperiode: Über seine Versprecher haben alle gern gelacht, an seinen Versprechen ("Bemühenszusage") laboriert heute noch so mancher.

Kulturpolitik, ein fliehendes Pferd. Als Pegasus losgelaufen, als Lasttier geendet. Auch Adrienne Goehler: wohl wieder nur eine Senatorin im Transit, notgedrungen. Sie kam im Sommer, nach Diepgens Sturz, als Grüne aus Hamburg, und manchmal kann ein Greenhorn ja mehr bewegen als ein alter Revierfuchs. Dies war Adrienne Goehler nicht vergönnt: zu kurz ihre Amtszeit, und das Wichtige zog auch noch der Regierende Bürgermeister an sich. Klaus Wowereit hat sich als Abgeordneter und Fraktionsvorsitzender über die Haushalts- und Kulturpolitik profiliert; der vielleicht erstaunlichste Aspekt einer erstaunlichen Karriere. Und mit André Schmitz leitet ein Mann aus der Kultur die Senatskanzlei. Schmitz war vorher Geschäftsführer der Volksbühne und Interimsintendant der Deutschen Oper. Kultur und Kulturpolitik sind in der Chefetage angekommen - weil sie Paradigmen sind für die Berliner Politik schlechthin. Für die Zukunft ist mit einem verschärften Pragmatismus zu rechnen. Wowereit dürfte im Stande sein, das Theater des Westens, eine Art "Bankgesellschaft" im Kleinen, mit einem Federstrich an einen privaten Musicalbetreiber zu verkaufen und einen Jahrzehnte alten Subventionswitz zu beenden. Da liegt auch eine Gefahr: dass jetzt manches zu schnell geht, was früher schleppend oder gar nicht ging.

Und nun? Au revoir, Adrienne!? Die Senatorin hätte eine Chance, im Amt zu bleiben, nur bei einer Mehrheit für Rot-Grün. Bei einer Ampel-Koalition ist alles möglich. Als heiße Kandidatin gilt die SPD-Bundespolitikerin Monika Griefahn. Und was passiert bei Rot-Rot? Gibt es dann womöglich einen Hollywood-reifen Kultursenator-Entertainer Gysi? Kulturpolitik wird, mehr noch als andere Ressorts, zu einer Frage des Castings. Man hat es auf Bundesebene erlebt: Erst kam Naumann - und dann Nida-Rümelin. Ein allzu ruhiger Vertreter in unruhigen Zeiten, da sich der Begriff Kultur zu seinem Ursprung hin erweitert: ins Historisch-Religiöse und Kriegerische. Plötzlich bezeichnet Kultur nicht mehr das Gemeinsame, sondern das Trennende, den Unterschied.

Das Sahnehäubchen: gegessen

Das Verschwinden der Kulturpolitik hat innere und äußere Gründe. Es fehlt am Geld, die Haushalte haben sich erschöpft, die alten Rezepte und Rituale und Debatten verbraucht, lange schon. Und dann: Kulturpolitik, wie wir sie kannten, als Sahnehäubchen der westdeutschen Demokratie, ist gegessen, wenn alle Politik sich kulturell auflädt.

Rüdiger Schaper

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