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Kultur: Das gedrehte Ding

FILMEMACHER Ist es nicht ein Wunder, dass es immer wieder Neues im Kino gibt? Die Geschichte von einem, der einen Film machte – und dabei fast verrückt geworden wäre

Eine Woche lang waren wir jeden Morgen zur Iranischen Botschaft nach Berlin-Dahlem gefahren, wo meine Schwestern Kopftücher trugen und ihnen vollbärtige Schalterbeamte nicht in die Augen schauten. Tag für Tag fragten wir nach unseren Visa, die Tag für Tag nicht da waren. Eine Woche lang haben wir deshalb die Nachmittage damit verbracht, beschwichtigende Telefonate zu führen. Mit der Firma, bei der wir Filmtechnik reserviert hatten, und mit dem Aeroflot-Büro, in dem wir unseren Hinflug jeden Tag um einen Tag verschoben.

Dann sind die Visa da, und tags darauf, es ist der 28. September 2005, fliegen wir los, es ist unsere zweite Reise in den Iran, die erste mit einem Filmteam, und es sind noch fünf Tage übrig für ein Arbeitspensum, für das wir volle zwei Wochen eingeplant hatten – nur eine von vielen Wahnsinnigkeiten auf dem Weg von der Filmidee zum Film.

Nachts liegen wir auf dem Boden im Büro von Ayats Vater, Ayat ist unser Mann in Teheran. Für ein Hotel ist kein Geld da. Für Verpflegung auch nicht. Es gibt täglich Pizza mit Ketchup. Egal. Wir sind entflammt und nicht aufzuhalten.

Es war die Berlinale vor sechs Jahren, die den Anstoß gab. Dort lernten wir Ayat kennen. Meine Schwestern Marlene, Valerie und Corinna spielten in einem Kreuzberger Frauenfußballteam, und Ayat erzählte, dass es in Iran eine Frauennationalmannschaft gebe, die noch nie gespielt habe. Wir dachten: Soll man nicht mit der Berliner Mannschaft nach Teheran reisen, dort das erste Frauenfußballspiel in der Geschichte der Islamischen Republik Iran austragen – und darüber einen Dokumentarfilm drehen?

Übers Filmemachen wussten wir nicht viel. Klar war lediglich, dass wir Unterstützung brauchen würden. Aber es kam das Jahr der Fußball-WM – da sollten die Helfer bald Schlange stehen. So stellten wir uns das vor.

Marlene hatte ihr Neuköllner WG-Zimmer in ein Großraumbüro verwandelt, hier schrieben wir Briefe, E-Mails, Exposés, Anträge, Kostenaufstellungen. Wir bastelten Broschüren aus grünem Filz als Rasenimitat, nähten die Seiten von Hand zusammen und verzierten sie mit Perlen, die wir als Fußbälle bemalt hatten, schickten die an Fernsehsender, Produktionsfirmen, an Adidas und Puma, an die Fifa und den DFB, an Sportstiftungen und Nachwuchsfördervereine, an Wolfgang Thierse und Rainer Zobel. Wir tranken literweise Gemüsebrühe und hörten Bruce Springsteen.

Die Absagen ähnelten sich. Man lobte unsere Idee, bedankte sich für unser Verständnis und wünschte viel Erfolg. Wochen, Monate vergingen so. Da wir parallel das Fußballspiel in Teheran mitplanten, waren wir in der bizarren Situation, zeitgleich eine Filmrealität und eine wirkliche Realität zu organisieren. Und auch die Wirklichkeit hatte Lücken.

Ein Beispiel: Damit die Berliner Mannschaft während der Reise krankenversichert wäre, müsste das Spiel als Freundschaftsspiel offiziell angesetzt werden. Über den DFB ging das nicht, weil es in Iran stattfinden sollte, und über die Fifa ging es nicht, weil Spiele zwischen Vereins- und Nationalmannschaften nicht vorgesehen sind, es gibt kein entsprechendes Formular.

Und dann kam Mahmoud Ahmadinedschad. Der wurde im Juni 2005 überraschend zum iranischen Präsidenten gewählt, der Hardliner und Anti-Westler, und vielleicht wäre vernünftig gewesen, sich von dem Projekt, das wackeliger denn je dastand, zu verabschieden. Aber so dachten wir nicht. Wir waren überzeugt, etwas Bedeutendes zu tun, vielleicht zum ersten Mal im Leben.

Die Einzigen, die an uns glaubten, waren unsere Eltern. Sie richteten ein Projektkonto für uns ein und überwiesen 10 000 Euro, Betreff: Iranfilm. Im Juli 2005 flogen wir zum ersten Mal nach Teheran. Bei knapp unter 50 Grad im Schatten eilten wir von Büro zu Büro, von Funktionär zu Funktionär und versicherten uns derer Unterstützung. Iranol, der große staatliche Ölkonzern, wollte nicht nur das Fußballspiel sponsern, sondern den ganzen Film, 120 000 Euro, so unsere Kalkulation. Wir sollten einfach die Rechnung schicken. Später mussten wir leider lernen, dass nach der Präsidentenwahl nicht nur Minister ausgetauscht wurden, sondern die gesamte Führungsebene des Landes. Und so waren viele Funktionäre, mit denen wir im Juli gesprochen hatten, im September nicht mehr im Amt.

Nicht selten habe ich mich gefragt, wie die anderen das machen, die Filme drehen. Wen sprechen die wie an? Und: Grenzt es nicht an ein Wunder, dass Woche für Woche neue Filme ins Kino kommen? Dass es Fernsehsender nur für Dokumentarfilme gibt? Und Festivals wie die Berlinale? 385 neue Filme gibt es in diesem Jahr in Berlin. Wie haben die das geschafft?

Zurück in Berlin stellten wir eine Filmcrew zusammen, eine E-Mail über den Verteiler der Filmhochschule Babelsberg genügte. Nichts an diesem Projekt verlief so unkompliziert und reibungslos wie die Zusammenstellung des Filmteams.

Anfang September fingen wir in Berlin an zu drehen. Was die Finanzierung auch nicht einfacher machte, denn Fernsehsender und Produktionsfirmen legen Wert darauf, Projekte mitzukonzipieren. Dreht man schon, ist das kaum noch möglich.

Los ging es mit der Kreuzberger Fußballmannschaft, Gesprächen über Iran, Ligaalltag und Privates – und einer frustrierenden Erfahrung: Die Anwesenheit eines Filmteams beeinflusst jedes Geschehen so massiv, dass nichts so wurde, wie wir es geplant hatten. Zudem erwiesen sich die Mitspielerinnen meiner Schwestern als eigenwillig. Wie sehr sie kooperierten, hing von ihrer Tagesform ab. Dann erfuhren wir, dass die iranische Spielerin, die wir zur Protagonistin aufbauen wollten, nach einem Zerwürfnis mit der Trainerin aus der Nationalelf ausgeschlossen worden war. Und unsere Berliner Protagonistin wurde schwanger. Etliche Stunden gedrehten Materials waren nutzlos. Neue Protagonisten mussten gesucht, neue Szenen gedreht werden. Allmählich begann die Zeit eine Rolle zu spielen. Bereits im November, so die Abmachung mit der iranischen Frauensportchefin, sollte das Spiel stattfinden.

Nach der Rückkehr von unserer zweiten Iran-Reise im September sickerte der Grund für unsere massiven Visa-Probleme durch: Der iranische Kulturattaché in Berlin, den Marlene für unser Projekt begeistern wollte, hatte vor uns gewarnt. Er hielt uns für antiislamisch und antiiranisch. Das galt es schnell zu ändern, denn noch hatten wir ja kein Spiel im Kasten. Aus unserem mittlerweile umfangreichen Filmmaterial schnitten wir Szenen zusammen, die dem strengen Blick eines regimetreuen Iraners standhalten sollten: Iranerinnen, die im eigenen Wohnzimmer ihr Kopftuch aufbehalten, Kreuzberger Wohnzimmer mit Koransure an der Wand und so weiter. Es entstand eine 20-minütige Schnittfassung, die wir intern Ambassador’s Cut nannten, wobei wir uns mächtig schlau vorkamen.

Wir buchten einen Kinosaal in der Filmhochschule Babelsberg, luden den Kulturattaché ein und den Dokumentarfilmprofessor der Hochschule, unsere Eltern, das Filmteam. Doch der Attaché kam nicht.

Dafür aber Roshanak Behesht-Nedjad, Produzentin von Flying Moon, einer Produktionsfirma in Babelsberg. Sie ist selbst Iranerin, schon lange in Deutschland, und zu unserer Verblüffung ist sie beeindruckt. Flying Moon ist auf interkulturelle Dokumentarfilme wie unseren geradezu spezialisiert und sieht, für die Branche unüblich, darüber hinweg, dass es sich um ein bereits laufendes Projekt handelt. Wir sind einerseits begeistert und andererseits derart beschäftigt mit der Organisation des Spiels und der Durchführung des Drehs, dass wir uns kaum Zeit nehmen für angemessene Gespräche über vernünftige Verträge.

Dazu kommt eine nachlassende Begeisterung der Berliner Spielerinnen für das Abenteuer, das im wirklichen Leben. Auf die Wahl Ahmadinedschads im Juni folgt im Oktober ein Orient in Flammen, wegen der Mohammed-Karikaturen. Im Dezember erklärt Ahmadinedschad den Holocaust zum Märchen. Und dann macht uns auch das iranische Atomprogramm Sorgen. Täglich ist in den Zeitungen von Sanktionen die Rede, zu denen auch die Aussetzung von Sportveranstaltungen gehören könnte. Das Spiel in Teheran, mittlerweile aufs Frühjahr 2006 verschoben, wäre damit gestorben.

Im Geschäftlichen zeichnet sich zu unserem Verdruss ab, dass wir trotz Einstiegs der Produktionsfirma die Dreharbeiten auf eigene Kosten fertigstellen müssen. Das alleinige Risiko tragen also weiter unsere Eltern, die alleinige Verantwortung tragen weiter wir. Aber manches wird auch leichter. Es wächst die Gewissheit, dass die Auslagen zurückgezahlt werden können, wenn es uns gelingt, den Film fertigzustellen. Problematisch sind nur Ausgaben, die sich nicht belegen lassen, wie Schmiergelder am Flughafen Teheran. Durch das Einsteigen einer Produktionsfirma interessieren sich nun doch Fernsehsender und Förderanstalten für uns. Valerie und Marlene stellen dann in einer Radiosendung unser Projekt vor und starten einen Spendenaufruf. Die Folge: Ein Herr Nikulski überwies 20 Euro auf unser Filmkonto, und das Medienboard signalisierte Interesse.

Und wieder lernten wir etwas: Wer Geld in ein Projekt steckt oder für ein Projekt akquiriert, will Einfluss. Das kann vom Mitspracherecht bis zum Letztentscheidungsrecht reichen.

Während beispielsweise Valerie für die Kinofassung an einem Abspann bastelt, der so schön werden soll, dass kein Zuschauer vor seinem Ende den Saal verlässt, liegt das Hauptaugenmerk bei den Fernsehredakteuren auf der Unterdrückung des Umschaltreflexes. Je nach Sendeplatz muss der Film auf zwei Drittel seiner Ideallänge eingedampft werden, und zur Vermeidung von Untertiteln wird er synchronisiert. Marlenes Stimme, die im Off die Geschichte von der Organisation des Spiels erzählt, wird diskussionslos durch die einer Profisprecherin ersetzt.

Es fällt nicht leicht, sich den Entscheidungen anderer zu beugen, bei einem Projekt, das uns so am Herzen liegt. Das Gefühl, es aus der Hand genommen zu bekommen, schleicht sich ein. Bei meinen Schwestern und bei mir, aber auch zwischen uns wächst Misstrauen, über Monate bleibt unser Verhältnis belastet von den Kämpfen mit Mitsprechern und Letztentscheidungsträgern.

Im April 2006 findet das Fußballspiel dann tatsächlich statt. Und dass diese Geschichte ein Happy End hat, dafür sorgten die Premiere 2008 auf der Berlinale, wo drei Jahre zuvor alles angefangen hatte, und viele weitere gemeinsame Festivalreisen. Und im Nachhinein hat sich ja immer alles irgendwie gelohnt.

Gelegentlich werde ich gefragt, ob ich vorhabe, noch einmal einen Film zu drehen. Aber sicher! Und zwar, um alles anders zu machen als beim ersten.

Der Autor drehte von 2005 bis 2008 den Dokumentarfilm „Football Under Cover“, der 2008 den Teddy Award für den besten Dokumentarfilm und den Teddy Volkswagen Zuschauerpreis erhielt.

Aufgeben, das wäre vernünftig gewesen.

Wir dachten nicht daran!

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