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Kultur: Das Geheimnis der Dohle

Hans Peter Litschers Zauber-Kafka in Berlin

Erst begann es auf der Hinterbühne mit ein paar Textfitzeln von Hans Christian Andersen und einer Art Musiktheater a capella. „Ich bin nur scheintod“ hieß es nach einem Andersen-Zitat. Trotz aller Mühen von 14 weiß geschminkten Damen und Herren des „Dänischen Nationalchors“ und ihres postgregorianisch-postdramatischen Andersen-Gesäusels war das freilich eine realtote Performance. Doch nach diesem schon andernorts gezeigten neunzigminütigen Langweiler der Kopenhagener Gruppe Hotel Pro Forma gab’s bei der „spielzeit europa“ im Berliner Festspielhaus gleich anschließend eine ungemein kurzweilige Geisterstunde. Als Uraufführung unter dem Kafka-Motto „Ein Käfig ging einen Vogel fangen“. Ein Fang, ein Fund, der künftig ganz ohne (fremdes) Vorprogramm zu erleben ist.

Und zu ergehen ist. Denn der Schweizer Spurensucher Hans Peter Litscher lädt zusammen mit einer lebenden Dohle zu einem Rundgang durchs Festspielhaus, der es vom Schnürboden bis zum doppelten Boden wahrhaft in sich hat. Wahrhaft, das heißt bei Litscher immer auch: gut erfunden. Der in Paris lebende 50-jährige Performer und Ausstellungsmacher ist ein hochcharmanter Flaneur und Fälscher der Kulturgeschichte. Für das Festival „Theater der Welt“ hat er „Potemkinsche Dörfer“ gebaut, für die Frankfurter Buchmesse den Erfinder einer erfunden Lesemaschine erfunden; im Hamburger Schauspielhaus hat er die größten Theatertode von Gründgens bis Zadek wiederaufleben lassen oder Eiskunstläuferbiographien auf Wohnzimmer-Eisbahnen projiziert.

In Berlin fallen zwar die angekündigten Dohlen-Gesänge „der Vogelgrippe“ zum Opfer. Dafür gibt es den leibhaftigen „Vogel Franz“, der zu seinem Namensvetter Kafka führt. Dieser habe in seiner Berliner Zeit zusammen mit Litschers Großmama im Grunewald gerne die Dohlen gefüttert. Kafkas Lieblingsdohle hieß „Albert“ – was federleicht zu Einstein überleitet, der in Prag (tatsächlich) im selben Privatsalon wie (gelegentlich) auch Kafka verkehrte. Schwerelos verbindet sich nun die Relativitätstheorie mit gewissen Zeit-Raum-Verrückungen in Kafkas Texten, die Litscher durch Tonaufnahmen, Projektionen sowie in Vitrinen beschwört. Diese sind mit Kopien echter Kafka- oder Einstein-Dokumente und raffinierten Fakes, mit künstlichen Originalen bestückt. Außerdem führt die Geistertour für jeweils 30 Besucher zu einer kafkanische Wunder-Echokammer im Theaterorkus unter der großen Drehbühne. Viel Vergnügen!

Festspielhaus, heute 18 und 20 Uhr, am 15., 20., 21, Januar 18 und 20 Uhr.

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