zum Hauptinhalt

Kultur: Das gewisse Kieksen

Weiße Lady des Swing: Anita O’Day ist tot

Als der Jazz noch eine Ballroom-Angelegenheit mit gestopften Trompeten und samtig säuselnden Gesängen war, hatte Anita O’Day schon das Brodeln einer neuen Ära in der Stimme. Benny Goodman wollte nichts mit ihr zu tun haben, weil sie bei einem Vorsingen nicht der Melodie seines Orchesters gefolgt war. Sein Kollege Raymond Scott warf sie raus, nachdem sie den Text ihres Lieds vergessen und einfach drauflos gescattet hatte. Das gewisse Kieksen in der Kehle sollte ihr Markenzeichen werden.

Erst Gene Krupa gab O’Day eine Chance und nahm mit ihr den Swing-Song „Let Me Off Uptown“ auf, der sie 1941 über Nacht berühmt machte. Mit „Uptown“ war Harlem gemeint, der schwarze Stadtteil von New York, dessen Clubs damals mehr und mehr weiße Besucher anzogen. Die Musik, die dort gespielt wurde, hatte O’Day hörbar geprägt. In ihrem Gesang klangen die Bebop-Phrasierungen eines Charlie Parker durch, Kritiker attestierten ihr später, sie sei die einzige weiße Sängerin, die in einem Atemzug mit Ella Fitzgerald, Billie Holiday und Sarah Vaughan genannt werden müsse. „Jazz“, hat sie selber gesagt, „ich für mich, das zu singen, was gerade passiert.“

1919 in Chicago geboren, hatte Anita Colton als Marathontänzerin begonnen, bis ihr jemand sagte, sie solle es mal mit Singen versuchen. Ihren Künstlernamen O’Day nahm sie an, weil er „in Pidgin-Spanisch wie dough – Knete – klingt, und das war, was ich machen wollte“. Mit Hits wie „And Her Tears Flowed Like Wine“ und „The Lady In Red“, diesmal mit der Bigband von Stan Kenton eingespielt, verdiente sie tatsächlich viel Geld. Alben wie „Anita“ oder „Pick Yourself Up“, in den fünfziger Jahren bei Verve erschienen, stiegen zu Klassikern auf.

Ihre Memoiren nannte O’Day „Hard Times Hard Times“. Auf Triumphe folgten Abstürze. 1952 landete sie wegen Marihuanabesitzes im Knast, 1969 galt sie nach einer Überdosis schon einmal als klinisch tot. Im Frühjahr erschien ihre letzte CD, auf der sie unter dem selbstbewussten Titel „Indestructible“, unzerstörbar, noch einmal die alten Standards sang. Am Donnerstag ist Anita O’Day mit 87 Jahren in Los Angeles gestorben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false