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Kultur: Das Glück flieht vor der Sehnsucht

Vor der Premiere von „Drei Schwestern“: drei Schaubühnen-Stars im Gespräch über Tschechow-Gefühle

Bei Tschechow sagt Irina, die jüngste der „Drei Schwestern“ gleich zu Beginn des ersten Aktes: „Nach Moskau ziehen. Das Haus verkaufen. Mit allem Schluss machen.“ Kennen Sie dieses Gefühl, unbedingt wegzuwollen?

JULE BÖWE: Das kennt jeder, rauszuwollen, sich rauszuwünschen aus seinen inneren Umständen, seiner inneren Provinz. Allerdings kommt der Satz in unserem Stück gar nicht mehr vor. Wir sagen stattdessen: „Weg hier, weg, nur weg!“

STEFFI KÜHNERT: Regisseur Falk Richter hat den Kontext und die Beziehungen der Figuren unverändert gelassen, aber den Text heutiger, aggressiver gemacht.

Innere Provinz, was meinen Sie damit?

BÖWE: Du kannst nach Honolulu gehen, und es geht dir trotzdem nicht besser. Du musst dich immer mit dir selbst auseinandersetzen.

KÜHNERT: Na ja, man kann sich schon entwickeln, wenn man in eine andere Stadt zieht.

BÖWE: Mit Arbeit verbunden, mag das stimmen. Aber wenn ich mich mit meinem Leben nicht wohl fühle und nach München gehen würde, wäre ich nach drei Wochen wieder mit den Problemen konfrontiert, die ich auch in Berlin nicht gelöst habe. Sagen wir Liebesprobleme, Einsamkeit, Kommunikationsschwierigkeiten. Deswegen finde ich es gut, wenn Irina sagt: Man muss arbeiten. Arbeit gibt dem Leben Sinn.

Gibt es auch eine innere Hauptstadt?

BÖWE: Die versuchen die drei Schwestern zu finden. Schaffen sie aber nicht.

CLEMENS SCHICK: Man hat eine Chance, wenn man wegkommt von dem Glauben, dass Veränderung woanders liegt. Innen wie äußerlich. Man hat eine Chance, wenn man anfängt zu gucken: Was ist hier und jetzt? Wenn man wegkommt von der Sehnsucht, hat man eine Chance, dem Glück näherzukommen.

BÖWE: Die „Drei Schwestern“ versuchen es nicht. Die eine hängt sich an die Arbeit. Die andere sagt: Ich will weg. Die nächste kettet sich an einen Mann.

SCHICK: Das geht uns doch ähnlich.

BÖWE: Nur hätte ich das Bewusstsein, dass das Quark ist.

Warum packen die „Drei Schwestern“ nicht einfach ihre Koffer?

SCHICK: Im Grunde sind sie illusionslos, sie glauben gar nicht mehr, dass man in der Gegenwart etwas verändern könnte. Deshalb flüchten sie in den Gedanken, in die Vision, in die Theorie.

Die „Drei Schwestern“ gehören einer Kaste an, die nicht gebraucht wird. Irina sagt: „Einmal möchte ich so arbeiten, dass ich abends erschöpft ins Bett falle.“

KÜHNERT: Die sind überqualifiziert für den Ort, an dem sie sich befinden. Sie sind gebildet, haben eine gute Erziehung, sprechen mehrere Sprachen. Nur können sie all das in der Provinz nicht anwenden.

BÖWE: Das ist doch übertragbar auf heute. Die Sehnsucht, jeden Abend erschöpft von der Arbeit nach Hause zu kommen, hat doch jeder Fünfte. Allerdings gehören bei Tschechow die Überflüssigen zur obersten Gesellschaftsschicht, heute sind sie ganz unten.

Herr Schick, Sie waren vier Jahre in Hannover engagiert und sind zur neuen Spielzeit nach Berlin gewechselt. Sind Sie am Ende einer Sehnsucht angekommen?

SCHICK: Ich hatte in Hannover eine tolle Zeit als Schauspieler, weil ich tolle Rollen spielen durfte. Trotzdem spürte ich immer wieder dieses Tschechow-Gefühl: weg hier! Die Stadt ist Provinz, und das hat eine Sehnsucht ausgelöst, weil ich Berlin kannte. Und deswegen hat sich mit meinem Umzug auch tatsächlich etwas verbessert in meinem Leben. Da hat sich eine Sehnsucht erfüllt.

Es gibt einen schönen Schlager von Adamo: „Das kleine Glück“.

KÜHNERT (singt): „…wird manchmal groß“. Von Adamo habe ich einmal eine Schallplatte gewonnen, noch zu DDR-Zeiten beim Jugendradio DT 64. Da gab es nach der Schule immer ein Quiz, und ich habe so lange angerufen, bis ich durchkam.

Was war die Preisfrage?

KÜHNERT: Die Frage lautete: „Was ist ein Schnaderhüpfel?“ Ich war zehn Jahre alt und habe im Lexikon nachgeguckt: ein alpenländisches Scherz- und Spottlied.

Herr Schick, Sie haben das Glück sogar in einem französischen Kloster gesucht.

SCHICK: Nach einem Jahr Schauspielstudium habe ich mich für drei Tage in ein Kloster bei Lyon zurückgezogen, weil man da schweigen konnte. Nach diesen drei Tagen wusste ich: Das ist es. Ich habe mein Studium abgebrochen und den Großteil meiner Sachen weggegeben, bin ins Kloster und habe gesagt, ich werde Mönch. Die Mönche sagten: take it easy. Sie haben mich nicht aufgenommen, mir aber die Möglichkeit gegeben, dort zu arbeiten und zu leben. Ich habe wie ein Novize gelebt, aber immer, wenn ich gefragt habe „Darf ich eintreten?“, haben sie gesagt: nein.

KÜHNERT: Wie lange warst du da?

SCHICK: Fünf, sechs Monate. Ich hatte damals eine Sehnsucht nach Radikalität. In dem Stück sage ich: „Alle versuchen, sich irgendwie zu arrangieren. Keine großen Pläne weit und breit. Alles bewahren, wie es ist und alles ertragen.“ Ich wollte lieber eine große falsche Entscheidung treffen, als mich mein Leben lang immer wieder umzuentscheiden. Ich habe damals sehr stark geglaubt und bin selbst, als ich schon in Berlin lebte, noch sechs Mal die Woche morgens um sieben in eine katholische Messe gegangen. Während meines Schauspielstudiums auch noch. Das war unglaublich. Jeden Morgen den Rosenkranz zu beten, die Messe zu feiern, mit einem Pfarrer, der um die 70 war, drei Nonnen um 70 und zwei Frauen und einem Mann, die kurz vor den 90 standen. Und danach raus auf die Greifswalder Straße.

Frau Kühnert, Frau Böwe, gab es bei Ihnen auch Zeiten, in denen Sie sich so in Frage gestellt haben?

KÜHNERT: Ich habe mal für anderthalb Jahre ausgesetzt, weil ich keine Lust mehr hatte. Das war um das Jahr 2000, nach meinem Engagement in Bochum. Ich war physisch und psychisch ausgelaugt und habe die Vorstellungen nur noch abgehakt. Diese Pause war sehr wichtig. Ein zweiter Schritt war dann, in die Freiberuflichkeit zu gehen. Das habe es bis heute nicht bereut.

BÖWE: Mit so schönen Geschichten kann ich nicht dienen. Außer, dass ich mal einen anderen Beruf hatte: Ergotherapeutin. Da habe ich versucht, den Gesundungsprozess bei Kranken durch Arbeit zu unterstützen. (Überrascht) Oh, das ist ja mein Thema, genau wie bei Tschechow. Obwohl das ein schöner Beruf war, habe ich ihn aufgegeben, um Schauspielerin zu werden. Da habe ich gekellnert und nebenbei Off-Theater gespielt. Das Off-Theater war meine Schauspielschule.

Es gab in den achtziger Jahren eine legendäre „Drei Schwestern“-Inszenierung von Peter Stein an der Schaubühne, mit Edith Clever, Jutta Lampe, Corinna Kirchhoff und Otto Sander. Spuken deren Geister noch durchs Haus?

BÖWE: Die spuken nicht, die sind oft live anwesend. Sie spielen oder lesen hier, kommen in die Vorstellungen und sind danach extrem kommunikativ. Aber ich habe nicht das Gefühl, an der Inszenierung von damals gemessen zu werden. Ich denke bei den Proben nie: Wie haben die Kollegen das gemacht?

Herr Schick, Sie haben es in den neuen James-Bond-Film geschafft.

SCHICK: Ich spiele den Bodyguard von Bonds Gegenspieler, eine kleine Rolle. Ich hatte ein paar Sätze, ein paar wurden rausgeschnitten. Darum ging es mir auch nicht, es war eine tolle Zeit, ich war fünf Monate immer wieder dabei, habe in der Karibik, in London, Prag, Italien und der Schweiz gedreht. Der Kult „James Bond“, jetzt der Kult „Drei Schwestern“ an der Schaubühne – eigentlich ist es doch super, das Leben.

Das Gespräch führten Andreas Schäfer und Christian Schröder.

Regisseur Falk Richter bietet für seine Inszenierung von Tschechows Drei Schwestern ein Star-Ensemble an der Schaubühne auf. Die

Titelrollen werden von Steffi Kühnert , Jule Böwe und Bibiana Beglau verkörpert, Clemens Schick spielt den Werschinin. Kühnert, 43, erhielt für ihre Rolle im Film „Halbe Treppe“ einen Silbernen Bären, Böwe, 37, wurde mit dem Stück „Shoppen & Ficken“ bekannt. Schick, 34, spielt im neuen „Bond“-Film mit. Premiere ist am

Mittwoch, 19.30 Uhr.

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