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Kultur: Das große Herz

Krieg und Frieden: Die 75. Oscar-Show war auch eine Nacht der politischen Gesten. Und ein Triumph für Caroline Links Kino der Gefühle

Von Christiane Peitz

Musik kann brutal sein. Als Michael Moore mit dem Dank für seinen DokumentarfilmOscar harsche Kritik an Goerge W. Bushs Kriegskurs verbindet und seine Redefrist von 45 Sekunden überschreitet, wird er mit einem Tusch von der Bühne hinwegkomplimentiert. Applaus, Buhs, Aufruhr im Saal.

Musik kann wunderbar sein. Moment mal, sagt Adrien Brody, als das Gala-Orchester auch ihn davon abhalten will, sich zum Irak-Krieg zu äußern. Nein, er wird jetzt nicht schweigen. Und die Instrumente halten ein, damit Brody von der Traurigkeit und der Entmenschlichung in Zeiten des Krieges sprechen kann. Brody ist vor Glück aus dem Häuschen, wie alle Gewinner. Aufgeregt spricht er über den „Pianisten“, Polanskis Tragödie vom Holocaust, über seine Rolle als Überlebender des Warschauer Ghettos, von der Filmkunst und den Menschen in Bagdad. Brody stockt, verheddert sich, hebt wieder an und spricht doch zu Ende, weit über 45 Sekunden lang. Und die Musik übernimmt seine Tonart.

Es geht also doch. Die Oscar-Verleihung wenige Tage nach Kriegsbeginn blendet die Gegenwart nicht aus und leistet sich zu ihrem 75. Jubiläum dennoch den ihr gebührenden Glamour. Im Tremolo von Brodys Stimme liegen Nervosität und Emphase zum Verwechseln dicht beieinander: kein falsches Pathos, sondern ein echtes, tief menschliches, seiner selbst unsicheres Pathos.

Die Oscar-Nacht 2003 war eine Nacht der Zeichen. Nicht der lautstarken Manifeste für oder gegen den Krieg, nicht der Bekenntnisse von Patrioten und Bush-Gegnern, der konservativen US-Filmindustrie und des linken Hollywood. Nein, das Schwert, das der Goldjunge mit sich trägt, hat keinen zu rabiaten Äußerungen animiert – außer Moore, der die (notwendige) Rolle des enfant terrible mit beeindruckender Furchtlosigkeit übernahm. Ansonsten dominierten die Zwischentöne: lauter kleine, präzise inszenierte symbolische Akte der Toleranz, Chiffren auch der Sorge und der Verunsicherung. Wer, wenn nicht die Filmschaffenden, beherrschen die Kunst des Symbolischen besser? Sie beginnt bei den diskreten Peace-Buttons und diamantenen Friedenstauben an den Revers’ und Dekolletés sowie bei der Modefarbe Schwarz für die Stars, von Nicole Kidman bis Julia Roberts. Sie steckt in Steve Martins sekundenkurzer Selbstironie in Sachen Entertainment und Krieg: „Wir haben auf die Red-Carpet-Show verzichtet, das wird ihnen eine Lehre sein.“ Und sie ist zu bemerken in der Art, wie Kriegsgegner Dustin Hoffman angesichts von Polanskis „Pianist“ das „Überleben in einer wahnsinnig gewordenen Welt“ intoniert – ohne seine Bush-kritische Haltung mit auch nur einem Wort zu erwähnen.

Heute Abend, da ist sich Hollywood einig, leisten wir uns trotz Irak-Krieg ein Fest. Den Ernst der Lage verkennen wir deshalb noch lange nicht, und den Schneid lassen wir uns auch nicht abkaufen. Ausgerechnet Michael Moore, der in „Bowling for Columbine“ die Waffenliebe und das Gewaltpotenzial Amerikas untersucht, wird bei seinem Gang auf die Bühne als erster Gewinner mit Ovationen geehrt. Hollywood legt die Souveränität – und die Turbulenzen – einer Großfamilie an den Tag: In politischen Dingen sind wir zerstritten, aber deshalb kratzen wir uns doch nicht die Augen aus! Nein, aus dem Kreise der Lieben wird niemand ausgestoßen. Vielleicht geht diese, im Vorfeld so umstrittene Oscar-Show ja als die großherzigste in die Geschichte der Academy Awards ein.

Was nicht zuletzt an den Filmen und den Entscheidungen der Akademie liegt. Mit drei Oscars für „Der Pianist“ hatte niemand gerechnet, ein überraschendes und deshalb unmissverständliches Votum für ein Kino, das von der ungeheuren Schwierigkeit handelt, in unmenschlichen Zeiten so etwas wie Mensch zu bleiben. Ein Votum auch für Leinwandgeschichten, die bequeme Wahrheiten und wohlfeile Geschichtslehren verweigern.

Und dann dies: „Nirgendwo in Afrika“ von Caroline Link gewinnt den Auslands-Oscar! Das gab es seit 23 Jahren nicht mehr, seit Volker Schlöndorffs „Blechtrommel“. Vergessen ist Moderator Steve Martins Seitenhieb auf die treulosen deutschen Freunde; in diesem Augenblick triumphiert der deutsche Film. Sage nochmal einer, er habe im Ausland keine Chance. Schlaumeier rechnen gerne vor, dass die für den Auslandsfilm votierenden Akademie-Mitglieder überwiegend ältere Semester sind, denen der Zweite Weltkrieg schon biografisch nahe liegt: Filme über den Holocaust hätten da bessere Chancen. Selbst wenn solche Spekulationen zutreffen sollten, fällt etwas anderes mehr ins Gewicht. Schließlich war schon Links Melodrama „Jenseits der Stille“ 1998 für einen Oscar nominiert. Gemeinsam ist beiden Filmen die Empathie, das Mitleid – die Seele. Eine wie Link setzt nicht auf Schauwert: Sie ist nicht nach Los Angeles gereist, sondern freut sich zuhause in München; ihre erkrankte, sieben Monate alte Tochter lag ihr mehr am Herzen als die Aussicht auf einen Oscar.

Caroline Links Fähigkeit, das Politische im Privaten zu entdecken, deutsche Historie ausgerechnet in einer entlegenen kenianischen Farm anzusiedeln und die großen Themen des Kinos, – Liebe, Gewalt, Tod – im vermeintlich Unscheinbaren, Unspektakulären aufzuspüren: All das bewegt offenbar über die nationalen Grenzen hinaus.

Der Verlierer des Abends heißt Martin Scorsese. Im Duell mit dem Musical „Chicago“ (6 Oscars) ging „Gangs of New York“ leer aus. Bandenkriege als amerikanischer Ursprungsmythos behagten der Academy nicht: Wenn schon Gewalt, dann bitte ein Tango im Staatsgefängnis. Und wenn schon Selbsterkenntnis, dann bitte als Dokumentarfilm. Oder, im Reich der Fiktion, wenigstens mit Musik. Martin Scorsese hat das nicht verdient.

Mehr über die Oscars auf Seite 32

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