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Kultur: Das große Raunen

Graham Swift macht in Familiengeheimnissen

Mit Vorankündigungen in literarischen Texten ist es so eine Sache. Ohne sie kommt kein Text aus, doch wenn der Autor zu großzügig mit ihnen um sich wirft, entsteht gern das, was man unter Raunen versteht. Wann raunt ein Text? Wenn er mehr verspricht, als er halten kann, etwa durch eine blumige Sprache oder geheimniskrämerisches Getue. (Hey, ich habe ein L. Ein L? Psst. Genau!). Oder eben durch vollmundige Ankündigungen von wer weiß was für Enthüllungen. Weshalb man den neuen Roman des Briten Graham Swift „Im Labyrinth der Nacht“ wegen ständiger Raunerei auch kaum zu Ende lesen kann.

Eine Frau liegt im Bett und richtet eine Lebensbeichte an ihre Zwillinge, die gerade 16 geworden sind und im Nachbarzimmer den „unbeschwerten Schlaf der Ahnungslosen“ schlafen. Auch ihr Mann Mike schlummert, nur Paula ist wach, denn morgen ist der große Tag, morgen wird den Zwillingen durch ihren Vater das Superfamiliengeheimnis offenbart und vorher hat sie den Drang, ihnen im Geiste zu erklären, wie sie wurden, was sie sind. Dass sich die Kinder einer künstlichen Befruchtung verdanken, ahnt man bald und ist umso genervter von der Super-Gau-Rhetorik: Auf jeder Seite wird schaudernd das Ende des „vertrauten Lebens“ beschworen und Nichts-wird-sein-wie-zuvor gemurmelt. Haarsträubend ist aber auch, wie den Kindern im Geiste was vom Leben der Eltern erzählt wird. Einerseits spricht Paula die Fasterwachsenen wie Kleinkinder an („meine Engel“), um ihnen dann mit tantenhaftem Augenzwinkern sexuelle Intimitäten aufzudrängen. Anekdotenplapperei unter apokalyptischem Donnergrollen – eine seltsame Mischung. Und ständig wird der vermeintliche Offenbarungsschock der Kinder vorweggenommen. „Ihr werdet einen Augenblick zögern“, „ihr werdet euch fragen, was zum Teufel hier vor sich geht“. Die empathische Fantasie ist das I-Tüpfelchen der Verlogenheit. Angeblich wollen die Eltern die Kinder aufklären, angeblich erzählt Paula diese Geschichte, um sie durch Wissen in die Freiheit des wirklichen Lebens zu entlassen. Figuren, von denen immer schon gewusst wird, was sie wann wie fühlen werden, die selbst aber nie zu Wort kommen dürfen? Das freie Leben sieht anders aus. Andreas Schäfer

Graham Swift: Im Labyrinth der Nacht. Roman. Aus dem Englischen von Barbara

Rojahn-Deyk. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2011. 318 Seiten, 14,90 €.

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