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Kultur: Das große Wunderkind

Annäherung an einen Allround-Künstler: Der amerikanische Maler Julian Schnabel meldet sich zurück – mit einer Retrospektive und seinem Film „Before Night Falls“

Ein junges Mädchen, blond, mit blauem Kleid, auf vier mal vier Metern Leinwand. Unwillkürlich zoomt der Blick auf sie zu, die ganze lange Galerie der Frankfurter Schirn entlang. Im Kino nennt man das Großaufnahme. Auf der Kinoleinwand hingegen zwei Jungen, in Rückenansicht, die Kamera rückt dicht an sie heran: auch eine Großaufnahme. Im Hintergrund schimmert das Meer. Dann nur noch das Meer, Wellenspiel, Lichtspiel, Farbenspiel. Und noch einmal ein Bild: „The Sea“, das Meer, von 1981. Eine Collage wie aus angeschwemmtem Strandgut, mit zerbrochener Keramik, verkohltem Holz, und alles getaucht in strahlendes Blau.

Ein Künstler, der Bilder malt, groß wie in Cinemascope. Ein Regisseur, der Einstellungen komponiert, als seien es Gemälde. Leinwand: das Material, das beide verbindet. Ein erstaunliches Zusammentreffen: Die Frankfurter Schirn eröffnet die erste Retrospektive Julian Schnabels seit 15 Jahren. Der Münchner Knesebeck-Verlag veröffentlicht eine opulente Monografie. Und der Film „Before Night Falls“, im Jahr 2000 beim Festival in Venedig prämiert, kommt mit vier Jahren Verspätung endlich auch in die deutschen Kinos.

Auftritt des Meisters: Julian Schnabel kommt zu spät. In schwarzem Langmantel und Sonnenbrille, verwuscheltem Haar und Rauschebart sieht er aus, als sei er gerade erst aus dem Bett gefallen. Reibt sich die Augen, die klein und verquollen ins Licht blinzeln. Bittet die Fotografen, nicht zu blitzen. Und gibt sich zunächst wortkarg. Dann wacht er auf. Nach seiner künstlerischen Überzeugung ist gefragt worden, und weil ihm das zu allgemein erscheint, beschließt er, gleich alle Fragen zu beantworten. Er kennt sie eh, es sind immer dieselben. Warum seine Bilder so groß seien? Ob seine Kunst, Anfang der Achtzigerjahre vom Kunstbetrieb hoch bejubelt, nicht doch nur ein Marketingphänomen sei? Und wie er mit dem Verdikt, die Malerei sei tot, umgehe?

Ein Monolog von 15 Minuten. Fangen wir hinten an: Die Malerei sei tot? „Die Menschen haben so lange über den Tod der Malerei geredet, nun sind die meisten von denen selbst tot“, sagt der Mann, der sich in den Siebzigerjahren für die Malerei entschieden und seitdem unbeirrt weitergemalt hat. Nun, da auch in Deutschland erneut eine Diskussion über die vor allem figurative Malerei ausgebrochen ist – an der Frankfurt mit den letztjährigen Ausstellungen „deutschemalereizweitausenddrei“ (Kunstverein) und „Lieber Maler, male mir“ (Schirn) keinen geringen Anteil hatte –, stellt sich die Frage erneut. So ist es nur folgerichtig, dass sich eine neue Kuratorengeneration, durch den 35-jährigen Schirn-Chef Max Hollein bestens repräsentiert, wieder Julian Schnabel zuwendet.

Und siehe da: Schnabel, der zu Beginn der Achtzigerjahre als Wunderkind heftig hofiert und wenige Jahre später ebenso entschieden wieder fallen gelassen wurde, ist – ein Unbekannter. Der Mann, der heute von sich sagt „Ich bin berühmt und reich. Noch viel berühmter und reicher als damals“, ist als Künstler eine Leerstelle. „Wer von Ihnen hat schon einmal ein Bild von mir ,live’ gesehen?“, fragt er in die vielköpfige Presseschar. Betretenes Schweigen. Eben. Das sei der Grund, warum man ihn nicht kenne. „Man versteht nichts von Malerei“, so der Künstler, „wenn man die Bilder nur aus Abbildungen kennt“. Man müsse ihnen ,in flesh’ gegenüberstehen, um zu verstehen, warum sich die Malerei auch im Zeitalter elektronischer Allverfügbarkeit immer noch behaupten könne. Auch eine Erklärung, warum er an der Malerei festgehalten hat.

Sie machen es einem aber auch nicht leicht, die Bilder von Julian Schnabel. Man behält sie schlecht in Erinnerung. Keine Bildkompositionen, die sich dem inneren Auge einbrennen und noch lange nachwirken. Das tun eher die Details: die Segelnaht, das Loch in der Leinwand, der aufgedruckte Schriftzug „water repellent“, das mit Wachs übergossene Heiligenglanzbild, der schimmernde Samt oder das Geweih, das aus dem Bild ragt. Ein Gesamteindruck jedoch, so etwas wie eine unverkennbare künstlerische Handschrift, eine kontinuierliche Weiterentwicklung eines ästhetischen Gedankens: Fehlanzeige.

Julian Schnabel ist ein Eklektiker. Allerdings ein genialer. Einer, der in Superlativen denkt und malt. Denn wenn eines seine Bilder eint, dann dies: ihre schiere Größe. Steht man vor ihnen, ist man überwältigt, erschlagen, überschwemmt von einem Meer an Farbe. Auch von der geheimnisvollen Aura schon gelebter Geschichte, welche die Wiederverwertung alter Materialien mit sich bringt. Das Segel eines ägyptischen Boots, dessen aufgedruckter Namenszug „Jane“ unversehens zu einer Hommage an Jane Birkin wird. Die Plane eines mexikanischen LKWs, schlamm- und dreckbespritzt. Der Boden eines Boxrings, mit den Spuren der vorangegangenen Kämpfe. Und natürlich – sein Markenzeichen – das zerschlagene Porzellan, das er bemalte, das Wachs, der Samt, das Fell.

Doch nicht nur die Materialien haben ihre Geschichte – die Bilder haben sie auch. Julian Schnabel hat sie oft als Hommage gedacht: an Jane Birkin, an seine baskische Frau Olatz, die er auf neueren Scherbenbildern porträtiert und deren Name auf mehreren Bildern auftaucht, oder an seine verstorbene Mutter, die er in den „Chinese Paintings“ verewigt.

Liebevolle Erinnerungen an Verstorbene sind auch die Filme, mit denen Schnabel in den letzten Jahren erfolgreicher war als mit seinen Gemälden: „Basquiat“ war 1996 eine Hommage an den mit 28 Jahren verstorbenen New Yorker Maler Jean Michel Basquiat, mit dem Schnabel befreundet war. „Before Night Falls“, sein zweiter Film, porträtiert den homosexuellen kubanischen Schriftsteller Reinardo Arenas, der sich 1990 mit 47 Jahren schwer aidskrank das Leben nahm.

Er sei auf Arenas aufmerksam geworden, erzählt Schnabel, als er ihn in einer Fernsehdokumentation sagen hörte: „Im Moment ist mein Name Reinaldo Arenas, und ich bin ein Bürger von Nirgendwo. Das Innenministerium hat mich zum Staatenlosen taxiert, also existiere ich gesetzlich gesehen gar nicht.“ Viel von diesem Humor, dieser Bescheidenheit hat Schnabel in seinem Film eingefangen – auch, weil der spanische Macho-Star Javier Bardem in der Titelrolle diesmal gar nicht machohaft, sondern im Gegenteil sehr elegisch, sehr leise spielt. So leise, wie es einem Dichter gebührt, dessen Leben mit politischer Verfolgung, Gefängnis und Flucht zwar spektakulär verlief, dessen poetisches Werk jedoch von den kleinen Dingen spricht, die Freiheit bedeuten: das Tap-Tap der Schreibmaschine, das Bild eines Papageis, einer Kletterpflanze, einer Welle.

Es sind diese Details, die auch den Film auszeichnen. Und die Bilder, die Schnabel für Arenas’ Verse gefunden hat. Am Ende erinnert man sich nicht mehr an Johnny Depps vorzügliche Doppelperfomance als sadistischer Knastchef und durchgeknallte Tunte. Nicht an Sean Penns skurrile Nebenrolle als revolutionärer Bauer. Auch nicht an das schöne Gesicht von Schnabels Ehefrau Olatz, die im Film Reinaldos Mutter spielt. Man erinnert sich vielmehr an: die Kamerafahrt durch den Urwald zu Beginn, schlanke Bäume im Gegenlicht. Das schlammige Erdloch, in dem das Kind Reinaldo spielt. Den Wachtraum des Eingekerkerten, ein Bett aus schimmernd-schwarzen Steinen. Und das surreale Bild der Kirchenruine, in der ein Heißluftballon schwebt. „Auch wenn ich als Bildhauer arbeite, bleibe ich immer ein Maler“, hat Julian Schnabel einmal gesagt. Das Gleiche gilt für seine Arbeit als Filmregisseur.

Julian Schnabel, Malerei 1978 – 2003, Schirn Kunsthalle Frankfurt, bis 25. April. Katalog (Hatje Cantz) 24,90 €. – Julian Schnabel. Knesebeck Verlag, München 2003, 376 S. 75 €. – „Before Night Falls“ (134 min.): In Berlin in den Kinos Babylon, Filmkunst 66, Filmtheater am Friedrichshain, Kino in der Kulturbrauerei, alles OmU.

Christina Tilmann

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