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Kultur: Das Haus der tausend Meisterwerke

"Berlin, nun freue dich." Dieser Ende 1989 von der Politik geprägte Ausruf nach dem Fall der Mauer, seine unverstellte Begeisterung mag mit den Jahren mehr und mehr in den Hintergrund gerückt sein - angesichts der Probleme der Wiedervereinigung des einst geteilten Landes.

"Berlin, nun freue dich." Dieser Ende 1989 von der Politik geprägte Ausruf nach dem Fall der Mauer, seine unverstellte Begeisterung mag mit den Jahren mehr und mehr in den Hintergrund gerückt sein - angesichts der Probleme der Wiedervereinigung des einst geteilten Landes.Am heutigen Tag kommt er unweigerlich wieder in den Sinn, denn die Eröffnung der neuen Gemäldegalerie am Kulturforum steht vor allem für die Freuden dieses Zusammenwachsens.Knapp dreitausend Meisterwerke abendländischer Kunst, die seit dem Krieg auseinandergerissen waren, kehren wieder zurück in ein gemeinsames Haus.Beinahe die Hälfte des Gesamtbestandes wird dem Publikum im Neubau am Kulturforum zugänglich sein.Für die Gemäldegalerie geht die Wiedereröffnung als triumphaler Tag in die Geschichte ein; für Berlin bedeutet sie die Rückkehr in den Reigen der großen Museen von Weltrang.

Was sich von außen eher bescheiden, wenn auch als gediegener Schrein präsentiert, hat alle Berechtigung, als "Schatzhaus" zu gelten.In seinem Inneren birgt der Bau tatsächlich Kostbarkeiten von unschätzbarem Wert.Bereits der Verkauf nur weniger Werke würde die Bausumme von rund 285 Millionen Mark wieder einbringen.Diesen Meisterwerken einen adäquaten Rahmen zu geben, war die Aufgabe des Münchner Architektengespanns Hilmer & Sattler (mit Thomas Albrecht), ergänzt durch die Experten für Beleuchtung und Raumausstattung.Gemeinsam ist ihnen ein eigenes Kunststück gelungen: Sie haben Räume geschaffen, in denen die Bilder zu ihrer bestmöglichen Wirkung gelangen, die eine klare, ausgewogene Stimmung vermitteln, in denen sich der Betrachter im Dialog mit der Kunst wohlzufühlen vermag.

Der Besucher wird anfänglich mit Erstaunen die Rückkehr zu den Galerietraditionen des 19.Jahrhunderts zur Kenntnis nehmen, das völlige Fehlen modischer Mätzchen, mit denen Museumsarchitekten in den letzten Jahren das Publikum konfrontierten.Die Kunstwerke danken es ihrerseits mit atemberaubenden Auftritten: Auf dem farbigen Samtfond der Wände sind sie durch das reine Tageslicht geradezu zum Leuchten gebracht.Wie der größtmögliche Kontrast zu den intimen Kabinetten und den aufregenden größeren Ausstellungssälen wirkt die gigantische Pfeilerhalle, um die sich die Galerieräume hufeisenförmig legen.Sie ist als Ort der Kontemplation gedacht, des Ausatmens, nachdem der Betrachter zuvor eine Fülle von Eindrücken aufgenommen hat.Die Wucht des Raumeindrucks einerseits, die plötzliche Verlorenheit des Besuchers andererseits stehen dem jedoch entgegen.Nach der aufgezwungenen Anpassung des Baus an die Gegebenheiten des Kulturforums und der selbstlosen Unterwerfung zugunsten der optimalen Präsentation Alter Meister wollten die beiden Architekten offensichtlich umso deutlicher im "Herzstück" der Galerie ihre Zeitgenossenschaft, ja einfach Autorschaft behaupten.Unterstützt werden sie darin von Walter de Marias Brunnenskulptur im Zentrum der Halle.Im Ergebnis hinterläßt dies aber eher einen unausgeglichenen Eindruck.

Da nun der Wiederaufstieg in die Reihe der großen Museen der Welt außer Frage steht, richtet sich nun alle Aufmerksamkeit auf die Präsentation der berühmten Sammlung.An den 1,8 Kilometern "laufender Hängefläche" der Hauptgalerie sind insgesamt 1116 Gemälde untergekommen, in der Studiengalerie weitere 330.Das sind weit mehr Werke, als bislang in Dahlem und auf der Museumsinsel zusammengenommen zu sehen waren.Beim Gang durch die teilweise dicht gehängten Säle wird jedoch verständlich, wie schwer den Kuratoren die Entscheidung zum Aussondern gefallen sein muß.In so manchem Raum wäre weniger mehr gewesen.

Dabei wurde nicht nur Saal für Saal bespielt, sondern die Wirkung der Durchblicke durchaus einbezogen.Der Besucher wird diese liebevoll gesetzten points de vue schnell entdecken: die mittelalterliche Madonna mit dem Kind in der Rosenlaube, die noch einmal von einem Durchgang gerahmt wird, oder der augenzwinkernde Anreiz durch den dickleibigen Herrn, den der Barockmaler Charles Mellin kokett zwischen zwei Säulen plazierte.Ans Ende einer ganzen Enfilade von Ausstellungsräumen findet sich passenderweise Frans Franckens "Bildersaal" von 1618.Ein besonders gelungener Querverweis aber ist die Hängung von Martinis architektonischer Vedute (1490 / 1500) als Verlängerung der Wandelhalle.

Angesichts der Fülle der Gemälde ist der Betrachter gezwungen, Schwerpunkte zu setzen; wiederkehren muß er (und wird er) ohnehin.Der klaren Dreiteilung der Architektur folgt auch die Hängung: auf der rechten Längsseite die nordalpine, auf der linken die südalpine Kunst, im Quertrakt die Vereinigung der beiden Richtungen in der flämischen und holländischen Malerei des 17.Jahrhunderts, in der Studiengalerie schließlich noch einmal die ganze Kunst vom Mittelalter bis zu den Meistern um 1800.

Eine Orientierung für die Abteilungen bietet die farbige Samtbespannung: Blau für die frühe nördliche Schule, Grün für Flamen und Holländer, Grau für die Engländer und Franzosen und Rot für die späten Italiener.Mit der Wiedereröffnung der Dresdner Sempergalerie 1992 war erstmals das Prinzip der farbigen Wandbespannung in die deutsche Museumslandschaft zurückgekehrt; Berlins Gemäldegalerie greift damit also auf in der Vergangenheit und Gegenwart Bewährtes zurück.Es entspricht ideal im Temperament der Kleinteiligkeit, der Andächtigkeit mittelalterlicher nördlicher Motive, sie vor kühlem blauem Fond zu plazieren, andererseits der Sinnenfreude italienischer Meister, mit Tiefrot zu antworten.Welche belebende Wirkung der farbige Fond auf die Bilder hat, zeigt sich nicht zuletzt in der Studiengalerie, wo es wegen der Dichte der Hängung beim klassischen Weiß bleiben mußte.

Ob in der Haupt- oder Studiengalerie, der Besucher wird die berühmten Werke, die Star-Bilder schnell finden und doch merken, wieviel größer der Reichtum der Gesamtkollektion ist.Erst durch die Zusammenführung der beiden Teile aus Ost und West zeigt sich das besondere Profil der Berliner Gemäldegalerie, die nicht wie andere Sammlungen in Florenz, Wien, Paris, Madrid oder München durch fürstlichen Sammeleifer entstand, sondern 1830 als Bildungseinrichtung gegründet wurde.Der damals begonnene kunsthistorisch-systematische Aufbau der Kollektion wird nun wieder sichtbar, die trotz einiger Lücken erstaunliche Geschlossenheit, mit der die abendländische Malerei ausgebreitet wird.Im Zusammenspiel der einst auf Dahlem und die Museumsinsel verteilten Bestände wird nun auch die repräsentative Wirkung der höfischen und kirchlichen Auftragskunst vergangener Jahrhunderte wieder deutlich.Den großen Formaten, die im Bode-Museum geblieben waren, sind nun die kleineren aus Dahlem beigesellt.Ein großartiges Konzert der Kunst hat begonnen, für das am Kulturforum trotz seiner Mängel ein angemessener Klangkörper gefunden ist.

Offizielle Eröffnung heute, Einlaß für das Publikum ab Sonntag.Katalog (Nicolai Verlag) 68 DM, 148 im Buchhandel.

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