zum Hauptinhalt

Kultur: Das Haus selbst spielt die erste Geige

Was ist so festlich an Anton Bruckners Musik, daß neben dem Berliner Sinfonie-Orchester auch die Staatskapelle ihr Silvester-Programm mit seinen Werken bestreitet? Da schmettert kein Gesang aus teuren Kehlen, leuchtet keine Solistenpracht zum Jahresende, dafür wird mit der vierten Sinfonie, der "Romantischen", zum Gala-Auftakt in der Staatsoper orchestrale und interpretatorische Höchstleistung versprochen.

Was ist so festlich an Anton Bruckners Musik, daß neben dem Berliner Sinfonie-Orchester auch die Staatskapelle ihr Silvester-Programm mit seinen Werken bestreitet? Da schmettert kein Gesang aus teuren Kehlen, leuchtet keine Solistenpracht zum Jahresende, dafür wird mit der vierten Sinfonie, der "Romantischen", zum Gala-Auftakt in der Staatsoper orchestrale und interpretatorische Höchstleistung versprochen.Das verlangt den Musikern wie den Besuchern ein hohes Maß an Konzentration ab an einem Abend, der sich doch in seinem weiteren Verlauf unbeschwert zu einem kulinarischen Ballvergnügen entwickeln sollte.

Kurt Sanderling, der 86jährige Dirigent, macht es dem sektbeschwingten Publikum nicht leicht und entlarvt sogleich den Beinamen "Romantische" wie das der Sinfonie beigegebene Programm als irreführend.Bruckners Beschreibung des ersten Satzes als das Bild einer mittelalterlichen Stadt mit Toren und sprengenden Rossen, Rittern und Vogelgesang trifft den Gehalt der Musik so wenig, als wollte man die Malerei der Romantik allein mit Hilfe des "Röhrenden Hirschen" erklären.So bleibt die Musik nicht etwa in der Imitation von naturhaften Klängen stecken, wie Sanderling durch seine zwar genaue, aber nicht detailverlorene, immer wieder rhythmisch antreibende Lesart eindrucksvoll verdeutlichte: Hier entfaltet sich selber Naturereignis.Zu dieser überzeugenden Abkehr von einem "Romantik"-Begriff der alten Ölschinken gesellt sich die Mut, ganz auf romantisierende Weichzeichner zu verzichten.Klar umrissen stehen thematische Blöcke nebeneinander, mit langem Atem türmen sich die Steigerungen: Der ungemein geschmeidig dirigierende Sanderling hört ein breites emotionales Spektrum aus der Vierten heraus, kontrolliert die Affekte souverän jenseits aller Affektiertheit, wie das vielleicht nur im Alter möglich ist (man denke da nur an Günter Wand).Und vielleicht ist es dieser zwischen naiv-gefühlvollem Tonfall und architektonisch-überhöhtem Gotteslob schwankende Stil, der Bruckners Werken eine Ausstrahlung verleiht, die man "festlich" nennen könnte.Sanderling jedenfalls kostet die Extreme des Werkes gründlich aus und wirft sich kämpferisch ins Finale, sucht aufwühlend einen Weg ins Freie.

Als Untermalung eines "romantischen" Candlelight-Dinners ist diese Vierte daher garantiert ungeeignet - und eigentlich auch für die Staatsoper.Die bei hochgefahrenem Orchestergraben staubtrockene Saalakustik verhindert die notwendige Mischung der Stimmen zu einem Klang, eine luftig gestaffelte Räumlichkeit, wie sie Bruckners ausgreifende Sinfonik zum Atmen braucht, kann der Raum nicht bieten: Verzerrungen und rutschende Proportionen sind die Folge.So war es letztlich der festliche Rahmen in der Staatsoper, der der zur Festmusik erkorenen Musik Bruckners einen Gutteil ihrer überwältigenden Wirkung und der Staatskapelle den verdienten Zuspruch für eine engagierte Aufführung raubte.Es war nicht zu überhören: Die Selbstinszenierung des Hauses Unter den Linden spielte am Silvesterabend die erste Geige.

Zur Startseite