zum Hauptinhalt

Kultur: Das heimliche Kulturministerium

Man muss etwas unternehmen: Wie die Ernst von Siemens Musikstiftung die Avantgarde fördert

Der Reflex ist nur allzu verständlich: Kein Politiker hat Lust, immer nur Etats zu kürzen und SparBescheide zu unterschreiben. Er will auch mal Gutes tun, Geld mit vollen Händen ausgeben. Darum werden die Gewinne der Berliner Lottostiftung von einem Abgeordneten-Gremium verteilt, darum hat jetzt auch Kulturstaatsministerin Christina Weiss einen Umbau des Hauptstadtkulturfonds vorangetrieben, bei dem der sichtbare Teil der Mittelvergabe in den Händen von Politikern liegt. Je stärker es die Volksvertreter in die Wohltäter- Rolle drängt, desto wichtiger werden für die Kultur jene Institutionen, die sich dem Zugriff der Politik ganz entziehen, weil sie Privatinitiativen entsprungen sind. Wie zum Beispiel die Siemens Musik-Stiftung.

Als Ernst von Siemens 1972 aus seinem Aktien-Vermögen eine Musikstiftung schuf, wählte die Stadt Zug in der Schweiz als Stiftungssitz. Von neutralem Boden wird seitdem alljährlich ein unabhängiges Experten-Kuratorium aktiv, nicht nur mit wachsendem Renommee, sondern auch mit wachsenden Finanzmitteln. Die Stiftungssumme wurde in den vergangenen 32 Jahren so wertkonservativ verwaltet, selbst den jüngsten Börsen-Crash überstand das Vermögen unbeschadet. 1,3 Millionen Euro sind inzwischen jährlich zu vergeben.

Der kleinste Teil, 150000 Euro, entfällt dabei auf den Hauptpreis. Und doch zieht dieser stets die mediale Aufmerksamkeit auf sich, weil nach dem Wunsch des 1990 verstorbenen Stifters damit Persönlichkeiten der internationalen Musikszene für ihr Lebenswerk geehrt werden. Die Liste, die 1973 mit Benjamin Britten beginnt, liest sich wie ein who is who: Herbert von Karajan steht hier neben Pierre Boulez, Dietrich Fischer-Dieskau neben Luciano Berio. 2004 wird Alfred Brendel diese Ehre zuteil, und der weltweit geschätzte Pianist wird bei der Preisverleihung am heutigen Freitag im Münchner Cuvilliés-Theater garantiert allen anderen die Show stehlen. Dabei erhalten neben ihm noch 37 weitere Personen und Institutionen Geldgaben der Stiftung.

Denn der Siemens Musik-Preis wächst sich immer mehr zu einem heimlichen Kulturministerium aus. Gefördert werden alle, die es schwer haben: Komponisten, Musikwissenschaftler, Spezialistentruppen für Zeitgenössische Musik. Einerseits finden sich große Namen der Avantgarde-Szene wie die Donaueschinger Musiktage oder ein Projekt der Berliner Staatsoper, bei dem junge Komponisten Kurz-Dramen von Jeffrey Eugenides vertonen. Die Sommerlichen Musiktage im niedersächsischen Hitzacker überzeugten die Jury mit einer Konfrontation von Luigi Nono und Renaissance-Musik. Aber auch die Expertentagung „Ganztagsschule und Musikunterricht“ in Hannover oder eine Doktorarbeit über „poststrukturalistische Aspekte in der Musik der Achtzigerjahre“ werden gefördert.

Grundsätzlich erhalten die Vorhaben keine Vollfinanzierung, sondern nur einen Zuschuss: „Wer etwas unternehmen will, muss dafür etwas unternehmen“, formuliert der Geschäftsführer der Stiftung, Michael Roßnagl, das Credo des Kuratoriums. Zwischen 10000 und maximal 100000 Euro werden pro Projekt ausgeschüttet. „Wenn wir Förderung zusagen, fließen weitere Drittmittel leichter, weil der Name der Musik-Stiftung eine Magnetwirkung entfaltet“, erzählt Roßnagl.

Kein Wunder, dass mehrere Hundert Anträge pro Jahr bei der Stiftung eingehen: Die sechs ehrenamtlich tätigen Kuratoriumsmitglieder müssen sich vor den beiden Sitzungen im Mai und Dezember jeweils durch dicke Wälzer mit den Materialien arbeiten. Derzeit sitzen der Leiter der Gesellschaft der Wiener Musikfreunde, Thomas von Angyan, der Dirigent und Kulturmanager Nikos Tsouchlos, die Komponisten Cristobal Halffter und Aribert Reimann sowie der Berliner Musikwissenschaftler Hermann Danuser und der Intendant der Salzburger Festspiele, Peter Ruzicka, in dem Gremium.

Dem eher konservativ eingestellten Enkel des Siemens-Firmengründers würde vieles von dem vermutlich nicht recht gefallen, was die sechs Herren für förderungswürdig halten: „Das Kuratorium hat sicherlich nicht immer nach seinem Geschmack gehandelt, aber in seinem Sinn“, heißt es selbstkritisch in der jüngsten Dokumentation der Stiftungsarbeit.

Seit 1990 werden neben dem Hauptpreis auch Förderpreise für junge Komponisten vergeben, je 30 000 Euro in Form eines Stipendiums. Diesmal soll es Fabien Lévy, Johannes Maria Staud und Enno Poppe ermöglichen, sich ein Jahr lang ganz auf ihre Partituren zu konzentrieren. Seit vier Jahren entwickelt die Stiftung darüber hinaus eigene Aktivitäten im Ausland, vergibt Kompositionsaufträge nach Polen oder Rumänien, und streckt ihre Fühler aus bis nach Ulan Bator, wo ein Festival für Zeitgenössische Musik Geld erhielt.

Bei Projekten wie jenem in der mongolischen Hauptstadt greift die Stiftung gerne auf das weltweite Repräsentations-Netzwerk des Siemens-Konzerns zurück – damit die Fördergelder auch tatsächlich ihren Weg in die richtigen Taschen finden. Im übrigen aber, das ist Roßnagl ganz wichtig, war die Stiftung stets eine Privatangelegenheit, nämlich die des Philanthropen Ernst von Siemens, und agiert absolut unabhängig von der Firma gleichen Namens. Färbt die Avantgarde-Arbeit der Stiftung dennoch positiv auf das Konzern-Image ab, nehme man das „billigend in Kauf“.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false