zum Hauptinhalt

Kultur: Das jüngste Gedicht

Von Steffen Richter Mit Strohhut, dickrandiger Brille und einer roten Textmappe steht er auf der Bühne. Die Sprachbilder, die Bob Holman ins Publikum schmettert, künden mal von Vergeblichkeit, mal von Aufbegehren und erinnern meist an Holmans künstlerische Heimat, den mythischen Nuyorican Poets Club.

Von Steffen Richter

Mit Strohhut, dickrandiger Brille und einer roten Textmappe steht er auf der Bühne. Die Sprachbilder, die Bob Holman ins Publikum schmettert, künden mal von Vergeblichkeit, mal von Aufbegehren und erinnern meist an Holmans künstlerische Heimat, den mythischen Nuyorican Poets Club. Von dort stammt die US-amerikanische Spoken-Word-Lyrik, jene Anti-Literatur, die gegen den auf Schriftlichkeit fixierten akademischen Betrieb rebelliert. DJ Poetic Rock legt dazu seine Platten auf und das randvolle Kesselhaus in der Kulturbrauerei tobt.

Es geschieht äußerst selten, dass Lyrik über einen kleinen Kreis der Eingeweihten hinausstrahlt. Seit langem schien es, die Gattung sei zu einer Angelegenheit für Minderheiten geschrumpft. Was das Poesiefestival im Rahmen des Berliner Sommerfestes der Literaturen in diesen Tagen offeriert, erinnert allerdings nur noch entfernt an jenes berühmte graffito, das Goethe seinerzeit in die Jagdhütte am Kickelhahn bei Ilmenau ritzte.

In der Kulturbrauerei gerät das altehrwürdige Gedicht zwischen die Fronten - vielleicht zu seinem Besten. Von der einen Seite fordern Rap, Dub und Spoken Word spätestens seit den achtziger Jahren einen größeren Realitäts-Input der Texte ein. Nachdem uns der Fall des famosen „Erzähltabus" in der Prosa jede Menge heiliger literarischer Einfalt beschert hat, dürfen jetzt auch in der Lyrik wieder Geschichten nach dem Leben erzählt werden. Meist sind es welche von Alltag, Unterdrückung und politischem Engagement. Auf der anderen Seite attackieren Laut- und Soundpoesie. Hier kommt es durch die Verschwisterung von Stimme und Elektronik oft zu interessanten medialen Vermischungen. Den Lautpoeten stehen allerdings die sprachkritischen Avantgarden Pate, die in Deutschland nie eine feste Heimstatt hatten. Michael Lentz, ihr auch theoretisch versiertester Wortführer, hält seit langem die experimentelle Literatur eines Ernst Jandl für jünger als so manches, „was heute von den vergreisten Jungen daherkommt". Es ist schon beglückend, dass da einer noch ein literarisches Gedächtnis besitzt.

Der richtige Rhythmus

Am Montag Abend schwangen aber zunächst die Rapper das poetische Zepter. Der Schweizer Jurczoc 1001 führte vor, wie hochartistische Verrenkungen von Mundhöhle und Zunge den Rhythmuscomputer ins Abseits stellen können. Eine phänomenale Performance. Nicht umsonst hatte Jurczoc auf die Übersetzung seiner Texte verzichtet. Mit eindeutig politischen Botschaften wartete dagegen Xuman aus dem Senegal auf. In seiner Heimat mag Hip Hop gegen Kolonialismus und Versklavung Stadien füllen. Im satten Europa aber rückt das gleiche Spektakel schnell in die Nähe von gut gewollter Polit-Folklore.

Für Dub-Poetry, die Synthese aus Lyrik und Reggae, stand Jean „Binta" Breeze aus Jamaika. Ob sie in ihren Gedichten von den armen Hausfrauen sang oder Liebesgrüße der karibischen Frauen an ihre Schwestern in Berlin ausrichtete - es war reine Energie, welche die Zuhörer elektrisierte. Weniger überzeugend wirkte hingegen der Neapolitaner Lello Voce. Zu ziemlich schrillen Trompetentönen von Michael Gross webte er einen apokalyptische Flickenteppich aus Szenen von Gewalt und Krieg, körperlicher und mentaler Verstümmelung. Das wollte wohl poetisch sein, war aber oft nur Effekthascherei.

Natürlich setzen alle Formen von Slam-Poetry auf Klang, Rhythmus und Gestik, nehmen also viel mehr Sinne in Beschlag, als es beim traditionellen Beugen übers Gedicht üblich war. Nicht selten kommt der Sinn bei so viel Sinnlichkeit aber unter die Räder. Aber natürlich kümmert sich das Poesiefestival auch um die sogenannten „klassischen" Probleme der Lyrik. Eine zweitägige Übersetzungswerkstatt zeigt, was Nachdichtungen leisten können. Gemäß dem Festival-Schwerpunkt Frankreich präsentieren 24 französisch- und deutschsprachige Autoren die Ergebnisse ihrer Arbeit. Außerdem kommt es am Morgen in der Kulturbrauerei zu einem gattungsgeschichtlichen Novum. Erstmals wird für Lyrik auf der Leinwand der Poetryfilm Award verliehen.

Ein interessanter Spagat: Hier die „jungen Wilden", da die Lautpoeten und in der Mitte jene, die in konventioneller Art ihrer Arbeit nachgehen. Am Samstagabend beschließt die Gala „Weltklang - Nacht der Poesie" das Festival. Zum dritten Mal findet die grandiose Open-Air-Lyriknacht am Potsdamer Platz statt. Rap, Hip Hop und Spoken Word in neun Sprachen werden auf etablierte, wenn auch nicht weniger experimentelle Poeten wie Thomas Kling oder Friederike Mayröcker treffen. Die Zeiten jedenfalls, in denen nur diejenigen Gedichte lasen, die auch welche schrieben, dürften vorüber sein.

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false