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Kultur: Das Knirschen der Eisberge

Von Laptop-Artisten und Gitarren-Berserkern: Nordische Kühle im Berliner Club Transmediale

Die erste Sensation findet weiter hinten statt, wo man einen weiteren Raum geöffnet hat: Nebel, Blendlicht, Stroboskopblitze aus einem Plastiktotenkopf als Totem in die Bühnenmitte gepflanzt. „Wasted“ nennt sich das Breakcore-Special, das Jason Forrest alias Donna Summer aus New York für den Eröffnungsabend der Club Transmediale zusammengestellt hat: Laptop-Artisten, die ihr Bier freihändig trinken und sich vor dem enthusiastischen Publikum den Kopf am Plattenspieler aufschlagen. Die Musik dazu: auf Schallgeschwindigkeit beschleunigte Jungle-Beats, Gabba-Gebretter, Heavy-Metal- und Hip-Hop-Fetzen, alles zerhackt und aufgeladen mit einem monströsen Ballerfaktor, ein Traumpfad ins digitale Hardcore-Nirwana.

Kein schlechter Auftakt für das sechste Club-Transmediale-Festival, das in der Maria am Ufer wieder ein offenes und mutiges Programm präsentiert. Während an den Wochenenden wilde Tanzpartys steigen, finden unter der Woche Konzerte statt. Wobei die Veranstalter in diesem Jahr ihren Blick besonders auf Künstler aus Norwegen gerichtet haben, die sich im Spannungsfeld von traditioneller Jazz-Improvisation, gegenwärtiger Bleep-Elektronik und Rock-Abstraktionen eine neue Musik ausdenken: nordisch, kühl, geheimnisvoll – wie das innere Knirschen von Eisbergen.

Zum Beispiel Supersilent. Mit Trompete, Schlagzeug, Orgel und schwirrender Elektronik steigert sich die Band von einem elegisch-sphärischen Ambient-Geblubber zum kollektiven Freeform-Ausbruch. Sie stellen die gleiche Frage wie seinerzeit Miles Davis: Wie klingt Jazz, wenn er sich die neuesten technischen Geräte einverleibt und aus Chaos ein Pop-Ereignis macht, ohne an Intensität zu verlieren.

Gleiches gilt für den Wegbereiter der Szene, den Trompeter Nils Petter Molvaer, der am nächsten Tag zu schwerfälligen Bollerbeats aus der Tonkonserve durch dubbiges Gelände steuert. Erst bei der Zugabe legt er seine Wurzeln frei und interpretiert ein Thema aus dem Miles- Davis-Soundtrack für Louis Malles „Fahrstuhl zum Schafott“.

In krassem Gegensatz dazu rückt am Dienstag der Audioschmutz ins Zentrum: das Knistern, die Frequenzüberlagerung, das Rauschen. Die nervige Stimmakrobatin Maja Ratkje schreckt dabei auch nicht vor Bertolt Brecht zurück. Single Unit bratzt mit Gitarre zu vorprogrammierten Beats und Melodien, die an Volkstänze aus der Wikingerzeit erinnern. Und die Golden Serenades stellen das Publikum mit ihrem Maschinenlärm auf eine wirklich harte Probe: ein Reißen, als könnte man Berge zersägen. Danach hat man selbst vor Kill keine Angst mehr, die gegen zwei Uhr morgens die Bühne für ein grandioses Konzert betreten: Schlagzeuger Martin Horntveth hat sich hier mit einem Elektroniker und zwei Death-Metal-Gitarristen zusammengetan. Sie zelebrieren das Zerbersten als glücklichen Zustand und äußerste Form musikalischer Befreiung.

Auch das ist ein jazztypischer Gedanke, der nochmals mit Nachdruck die Bedeutung der Club Transmediale als dem verkappten besseren Jazzfest unterstreicht. Wo sonst kann man solche Entdeckungen machen und in unerforschtes musikalisches Grenzgebiet vorstoßen? Danach werden die Sitzgelegenheiten weggeräumt und das Wochenende durchgetanzt (noch bis zum 12. Februar).

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