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Kultur: Das Kreuz mit dem Buben

Tenor ist Trumpf: Placido Domingo in Tschaikowskys „Pique Dame“ an der Berliner Staatsoper Unter den Linden

Der schönste, ja erhabenste Grund, die Oper zu lieben, ist der, dass sie es sich nicht einfach macht. Dass sie den Menschen, die in ihren Geschichten auftauchen, nicht Etiketten aufpappt, Donizettis Pasquale nicht als geilen alten Bock, Wagners Holländer nicht als verhaltensgestörten Psychopathen abtut. Sondern dass sie sich gerade diesen Scheiternden widmet, ihre Träume und Sehnsüchte in der Musik zu Tage treten lässt und nichts anderes sagt, als dass auch unser eigenes Glück nur ein flüchtiger Zustand sein kann. Der Grund , aus dem die Produktion von Tschaikowskys „Pique Dame“ an der Staatsoper so gründlich scheitert, ist hingegen der, dass sie es sich allzu einfach macht.

Dass sie dem armen Offizier Hermann, um den sich hier alles dreht, nicht einmal den Status eines durchgeknallten Spielsüchtigen zubilligt, sondern bloß das Abziehbild „Tenor spielt Wahnsinn“ aus der Theaterposenschublade holt. Und dass dieser Tenor Placido Domingo heißt und vermutlich gar nichts anderes liefern will als eben diese Theatertenorposen, macht die Sache leider auch nicht besser.

Dabei war es eine gute Idee der Staatsoper, Tschaikowskys „Pique Dame“ auf den Premierenplan zu setzen. Denn erstens ist das Stück nicht nur eine große, sondern auch eine großartige Oper, und zweitens in Berlin seit langem nicht mehr auf dem Spielplan. Es war sogar eine noch bessere Idee, dieses Werk in Koproduktion mit der Warschauer Staatsoper herauszubringen und damit ein Zeichen für die Zusammenarbeit mit Osteuropa zu setzen. Und es war auch keine abwegige Idee, für dieses Projekt Domingo nach Berlin zu holen – die relativ tief gelagerte, fast heldentenorale Rolle des Hermann liegt dem 62-Jährigen gut in der Kehle, und der Star sorgt zugleich für den internationalen Glamourfaktor, den ein Haus wie die Lindenoper nun einmal hin und wieder braucht.

Domingo hatte auch den polnischen Regisseur Mariusz Trelinski bei der Hand, und so schien sich die Sache von allein zu runden. Wäre da nicht noch der ärgerliche Umstand, dass sich die Puschkin entlehnte Geschichte von „Pique Dame“, anders als „Tosca“ und „Aida“, eben nicht von allein erzählt. Dass hier kein halbwegs geschmackvolles und praktikables Bühnenbild reicht, damit die Sänger von selbst in ihre Charakterrollen fallen, sondern dass hier erklärt und geklärt werden muss. Dieser Hermann, der über fünf Akte dem Geheimnis der „Drei Karten“ nachjagt und schließlich zu Grunde geht, wäre als bloßer Spieltischjunkie kaum operntauglich – erst der verzweifelte Versuch des Außenseiters, das „große Glück“ zu erringen, macht diese Figur zum singenden Menschen.

Seine unglückliche Liebe zur jungen Lisa ist gleichfalls keine x-beliebige Liebesgeschichte, sondern erhöht bloß den Druck, der auf Hermann lastet: Als greifbar nahe Utopie eines glücklichen Lebens, die, ganz ähnlich wie später bei Brittens „Peter Grimes“ dennoch unerreichbar bleibt. Diese Getriebenheit, diese wahnwitzigen Illusionen, diese Unfähigkeit zum Glück steht bei jeder Neuinszenierung auf dem Spiel.

Doch gerade hier versagt die Lindenoper. Über das bemüht expressionistische Bühnenbild von Boris Kudlicka braucht hier nicht groß geredet zu werden. Viel schlimmer ist, dass darin nichts Wesentliches passiert. Die gesellschaftlichen, handlungsbedingenden Bezüge des Fünfakters kappt der Regisseur teils durch Kürzungen, teils macht er sie unkenntlich. Ganz auf die Wahnerscheinungen Hermanns wolle er die Handlung zuschneiden, hatte Trelinski versprochen – und behilft sich mit vier gespenstigen Fuchskopfgestalten, um die Oper auf diese Perspektive zurechtzubiegen.

Erreicht wird damit freilich in erster Linie eine Fokussierung auf den Star. Der stemmt seine Töne zwar noch mit beachtlicher Energie und hinreichendem Glanz, ist aber kein Singschauspieler, der für den Wahn andere Mittel aufbieten könnte als Augenrollen und Händerecken – ein Bajazzo, den es an die Newa verschlagen hat. Angela Denoke hingegen, heiß geliebt von allen, die Oper als bewegendes Musiktheater begreifen, sorgt zwar dafür, dass ihre Lisa zum Menschen wird, hat ihre Stimme aber leider in den letzten Jahren so schlecht behandelt, dass ihre Spitzentöne mittlerweile oft nur noch weh tun. Ute Trekel-Burckhard spielt die alte Gräfin, der Hermann das Kartengeheimnis entreißen will, als lebensgierige Grande Dame, die gebieterische Präsenz, die eine Mödl, eine Schlemm, eine Varnay dieser Paraderolle für alte Sängerinnen verliehen haben, besitzt sie nicht. Ohnehin hinterlassen an diesem Abend die kleineren Rollen den größeren Eindruck: Roman Trekels herrisch nobler Jeletzki, Hanno-Müller-Brachmanns prägnanter Tomski und die stimmsatte Polina von Ekaterina Sementschuk nutzen das Vakuum auf der Bühne, um sich ins Licht zu setzen.

Dem Abend zu Leben, zu essenzieller Aussage verhelfen – das können sie nicht, weil ihnen wie allen anderen Figuren der musikalische Halt fehlt. Jene Getriebenheit, die in Tschaikowskys ostinaten Streicherfiguren immer wieder an die Oberfläche tritt und als Triebkraft das ganze Stück über spürbar sein muss. Doch Daniel Barenboim und seine (tadellos spielende) Staatskapelle haben mit Schicksalsmusik nichts im Sinn und spielen Sentimentales im Plüschmantel. Barenboim schwelgt unter Volldampf, streicht die Melodiestimmen dick heraus, deckt die Sänger mit breitem Orchesterklang zu und kostet die vermeintlich schönen Stellen aus. Doch die quecksilbrige Musik gewinnt nie die nervöse Gegenwärtigkeit guter Aufführungen, wird zum Scherbenhaufen bedeutungsloser sinfonischer Bruchstücke. Etwas Traurigeres kann der Oper nicht passieren.

Wieder am 8., 11., 14., sowie am 16., 19. u. 22. Dezember.

Jörg Königsdorf

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