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Kultur: Das Leben als Dia-Show

Die Künstlerin Julia Müller lässt in der Galerie Loris die analogen Zeiten wiederauferstehen.

Die Jugend zwischen zwei Buchdeckel zu stecken, schafft Distanz. Julia Müller, 1975 geboren, hat Fotos und Briefe aus ihrer Schulzeit collagiert und unter dem Titel „Sudden Death“ gleich zweimal herausgegeben: 1999, während ihres Fotostudiums an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, und jetzt in überarbeiteter Fassung erneut. Als Taschenbuch, Hardcover und signierten Band in Karton (Auflage: 20, je 260 Euro). Zudem zeigt die Berliner Künstlerin ihre alten Fotos als Dia-Schau: in einer Rauminszenierung in der Produzentengalerie Loris. Mit Tina Bara, ihrer ehemaligen Professorin, wird Müller hier am 30. Juni über die analogen Andenken sprechen. Denn die Aufnahmen, die sie von ihren Freunden machte, halten mehr fest als nur persönliche Erinnerungen.

Es sind Dokumente einer anderen Zeit. Die Schnappschüsse von Partys, Küssen, Weinflaschen, Spuckeimern, Zigaretten, Lagerfeuern zeigen eine Jugend in der Provinz lang vor Facebook und Fototelefonen – als sich Jugendliche betranken, ohne zu fürchten, sich anderntags als Schnapsleiche im Internet abgebildet zu finden. Mit dem Abstand von rund zwanzig Jahren will Müller nun wissen, wie die technischen Möglichkeiten, das Leben zu fotografieren, dieses verändert haben.

Damit ist sie nicht allein. Soeben hat Li-Han Lin, 1977 geboren, im Projektraum Pavlov’s Dog und auf „Zeit“-Online seine Fotos gezeigt, die er jüngst von den Stätten seiner Kindheit in Hilden gemacht hat, um sie mit alten Aufnahmen derselben Orte zu vergleichen. Und auch Iris Janke, Rebecca Riedel und Mieke Ulfig, ebenfalls in den 70er-Jahren geboren, kombinieren in der Galerie im Turm alte Fotografien mit heutigen Aufnahmen, um herauszufinden, wie sich der Spaß am Leben und der Blick darauf verändert haben.

Als sie in analoger Zeit die Tüte mit den fertig entwickelten Fotos öffnete, so erinnert sich Julia Müller, wurden vergessen geglaubte Augenblicke plötzlich wieder Bild. Ähnliches bewirken ihre Fotos im intimen Medium Buch: Sie frischen beim Betrachter verblasste Erinnerungen an die eigene Jugend auf. Dem kann Müllers Rauminstallation, die mit Matratzen und Schummerbeleuchtung aus der Galerie Loris ein Jugendzimmer macht, nur wenig hinzufügen. Dennoch veranschaulichen hier Poster von Bands wie Nirvana und Videos US-amerikanischer Filme, wie stark sich Oberschüler und Ikonen der Popkultur bereits in analoger Zeit glichen. Nicht von ungefähr heißt Julia Müllers Lieblingsfoto von damals „Cooler Cowboy“. Claudia Wahjudi

Galerie Loris, Gartenstr. 114, bis 29. Juni, 12–17 Uhr, Gespräch: 30. Juni, 19 Uhr

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