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Kultur: Das letzte Abendmahl

Ansichten einer selbstbewussten Frau: Mit einer Ausstellung im Ephraim-Palais wird die Malerin Lotte Laserstein wiederentdeckt

So werden sie nicht mehr zusammenkommen, die fünf jungen Menschen, die sich im Sommer 1930 über den Dächern von Potsdam zusammengefunden haben. Im Bildhintergrund leuchtet das abendliche Potsdam, als sei es Rom, auf dem Tisch liegen die Reste des Abendessens, zerteilte Birnen, angebrochene Brote, halb leere Gläser. Zu Füßen ruht und wacht ein Schäferhund. Drei der Anwesenden sind identifiziert: Links im Bild, sinnend in die Ferne blickend, steht Traute Rose, die Freundin der Künstlerin, neben ihr, das lockige Haar fesch zurückgefönt, ihr Mann Ernst. Ihm schräg gegenüber ein Malerkollege. Die beiden anderen Frauen, besonders die blonde Schönheit im kanariengelben Sommerkleid, die im Zentrum des Bildes die Position einnimmt, die in der Bildikonografie des Abendmahls Christus zukommt, kennt man nicht mehr. Über der Szene liegt etwas Drückendes, Ahnungsvolles, eine Überschärfe wie kurz vor dem Gewitter. Drei Jahre später, 1933, erhält die Malerin Lotte Laserstein Berufsverbot.

Es waren nur fünf Jahre, die den Ruhm von Lotte Laserstein begründeten – und es sollte über fünfzig Jahre dauern, bis sich ihre Heimatstadt Berlin wieder auf sie besinnt. Mit einer Ausstellung im Ephraim-Palais erinnert der Verein „Das Verborgene Museum“ an eine Künstlerin, die zu Unrecht, sehr zu Unrecht in Vergessenheit geriet. Es war eine wahrhafte Detektivarbeit, die die Kuratorin Anna-Carola Krausse als Vorbereitung zu leisten hatte: Die Bilder der 1993 im Alter von 95 Jahren in Schweden verstorbenen Künstlerin sind längst in alle Winde verstreut, die wenigsten davon landeten in Museen. Für die Retrospektive in Berlin kommen die meisten Gemälde aus Privatbesitz.

Am Anfang stand ein Bild, das programmatisch für die Ausstellung ist. Anna-Carola Krausse hatte es 1992 in einer Ausstellung im Gropius-Bau gesehen und gleich entschieden: über diese Künstlerin muss ich mehr wissen. „Die Tennisspielerin“ von 1929 zeigt eine junge Frau im lässigen Faltenrock, das kurze Haar unter einer Kappe verborgen, die Strümpfe zu Söckchen zusammengerollt. Es ist das Bild der selbstbewussten „Neuen Frau“, der Zwanzigerjahre, für das Laserstein selbst steht und das sie in ihren Bildern immer wieder feiert. Dabei war die Künstlerin selbst eher ein burschikoser Typ, leicht untersetzt, mit derben Gesichtszügen und charakteristischen, unverwechselbar schweren Augenlidern. Die Frau jedoch, um die ihr Werk kreist und die wohl auch für das Bild als Tennisspielerin posiert hat, ist Traute Rose.

Die beiden hatten sich 1925 kennen gelernt, und schnell war Traute zu Lottes ständigem Modell geworden. Es gibt Traute in Hose und Krawatte, Traute im Sommerkleid mit Puffärmel-Bluse, Traute im grünen Pullover, Traute in Abendgarderobe. Traute als Akt, Traute als Porträt, Traute als Madonna. Die junge Frau muss ungeheuer wandlungsfähig gewesen sein, eine Fotoserie kündet davon: Mal träumerisch, mal streng, mal frech oder kühl, scheint sie jeweils ein anderer Mensch zu sein. Ihre hoch gewachsene, androgyne Gestalt, das kurz geschnittene Haar, die selbstbewussten Posen: Traute Rose verkörpert den Frauentyp der Zwanzigerjahre, sportlich, modisch, weltläufig. Laserstein hat sie aufmerksam, liebevoll, sehr genau gemalt, in Bildern, die sachlich sind, ohne die Kühle und Schärfe der Neuen Sachlichkeit.

Ob die beiden mehr als nur befreundet waren? Ihre Briefe verraten nichts davon, die Bilder legen es nahe. Fotos, die am Wannsee oder im Grünen entstanden sind, erinnern an die Romanze von Aimée und Jaguar: junge Frauen in Badeanzug und Badekappe, ausgelassen, unbefangen. In „Ich und mein Modell“ von 1929 hat die Künstlerin ihre Beziehung porträtiert, in einem Bild, das vor Zärtlichkeit und Intimität vibriert. Sie selbst, im Arbeitskittel, blickt aufmerksam aus dem Bild. Hinter ihr, in Unterwäsche, steht Traute, und blickt über Lottes Schulter auf die Leinwand. Hat die Künstlerin dort gemalt, was wir sehen, müsste sie Traute aus dem Bild heraus direkt in die Augen blicken.

Die Freundschaft der beiden währte fast siebzig Jahre. Eine Fotografie in der Ausstellung zeigt die 80-jährigen Damen auf gemeinsamer Reise in Ascona. Lasersteins künstlerischer Erfolg war weniger dauerhaft. Nach einem rasanten Aufstieg – 1927 schließt sie als eine der ersten Frauen das Studium an der Berliner Akademie der Künste ab, bis 1933 nimmt sie an über zwanzig Ausstellungen teil – war das Jahr 1933 eine endgültige Zäsur. Die Zeichenschule, mit der sie ihr Geld verdient, wird wegen ihrer „dreivierteljüdischen“ Herkunft von den Nazis geschlossen, es folgen Ausstellungsverbot und Repressalien. Ein Selbstporträt von 1935 zeigt die bedrängte Lage. Fast versteckt sie sich hinter ihrer Leinwand, blickt bang und nervös dahinter hervor.

Es mag ihr Glück gewesen sein, dass Laserstein 1937 nach einer Ausstellung in Stockholm nach Schweden emigrieren konnte und dort, durch eine Scheinehe, sogar die schwedische Staatsbürgerschaft erlangte – künstlerisch hat sie sich von dem Bruch nicht wieder erholt. Sie porträtiert die bürgerliche Gesellschaft Stockholms, wird in der jüdischen Gemeinde herumgereicht, malt gefällige Seestücke, die jedes Wohnzimmer schmücken. Die Klarheit und Schärfe ihrer Berliner Bilder geht verloren – wie auch die Zeit, in der eine Frau davon träumen konnte, selbstbewusst und nach eigener Façon zu leben. Die biederen Hausfrauen, die Laserstein in den Fünfzigern porträtiert, haben diese Freiheit längst nicht mehr. Auf ihr Meisterwerk, das Potsdamer Balkon-Bild, sollte Laserstein übrigens noch zweimal zurückkommen. Kurz nach ihrer Emigration nach Schweden malt sie ein Bild, das eine Gruppe von Emigranten zeigt. Sie sind gruppiert um eine junge Frau im Bildmittelpunkt. Doch das Zimmer ist eng, das Licht ist trüb, die Gesichter sind grau.

Und noch einmal einige Jahre später malt sich Lotte Laserstein selbst. Die Arbeit als Auftrags-Porträtistin hatte ihre Kreativität getötet, aus dem Lebenstraum war ein Überlebensjob geworden. Der kritisch-gequälte Blick der Künstlerin zeigt, dass sie sich dessen nur zu bewusst war. Die Staffelei scheint auf sie zu stürzen und sie zu erdrücken. Und hinter ihr an der Wand hängt, wie eine ferne Erinnerung, das Bild aus Potsdam.

Bis 1. Februar im Ephraim-Palais, Poststr. 16 (Mitte), Di–So 10 bis 18 Uhr. Katalog: 29 € .

Christina Tilmann

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