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Kultur: Das Licht des Glaubens

Ein Mystiker für die Moderne: New Yorks Metropolitan Museum präsentiert das Werk des Malers El Greco in nie gesehener Breite

El Greco (1541–1614) steht am Beginn der Kunst des 20. Jahrhunderts. Von Seiten der deutschen Avantgarde schlug den Werken des griechischen Spaniers glühende Verehrung entgegen, seit der Kunstschriftsteller Julius Meier-Graefe 1910 seine „Spanische Reise“ veröffentlicht und den Boden bereitet hatte, auf dem eine junge Generation sehen und schwärmen lernte. „Greco aber kommt wie der Blitz“, schrieb Meier-Graefe, und einige Zeilen weiter: „Nicht weil Greco so groß ist, sondern weil er neu ist.“

Hugo Tschudi, der aus Berlin vergraulte Museumsdirektor, stellte El Greco noch im selben Jahr 1910 in der Alten Pinakothek in München aus, wo ihn die Maler der Künstlergruppe „Blauer Reiter“ sahen und für sich reklamierten. „Cézanne und Greco sind Geistesverwandte über die trennenden Jahrhunderte hinweg“, schrieb Franz Marc 1912 im „Almanach des Blauen Reiter“, der Programmschrift des süddeutschen Expressionismus: „Zu dem Vater Cézanne holten Meier-Graefe und Tschudi im Triumphe den alten Mystiker Greco; beider Werke stehen heute am Eingang einer neuen Epoche der Malerei. Beide fühlten im Weltbilde die mystisch-innerliche Konstruktion, die das Problem der heutigen Generation ist.“ Und so stellten denn auch Marc und Kandinsky, die „Redaktion“ des „Almanachs“, Grecos „St. Johannes“ neben einen „Eiffelturm“ von Robert Delaunay.

Freilich, wer sich mit diesem kunst- und geistesgeschichtlichen Gepäck in die unlängst eröffnete New Yorker Werkschau El Grecos begibt, wird eher befremdet sein von einer Kühle, die als wissenschaftlich gedeutet werden mag und doch vor allem die Distanz bezeichnet, die den heutigen Betrachter von den Schwarmgeistern des vergangenen Jahrhundertbeginns trennt. Greco ist nicht mehr „neu“ wie noch für Meier-Graefe. Seine deutsche Wirkungsgeschichte blieb eher kurz. Wie auch anders – in deutschen Museen sind seine Werke Mangelware. In Berlin gibt es kein einziges Beispiel.

Seine Gemälde muss man in Spanien oder in amerikanischen Museen aufsuchen. Wanderausstellungen sind rar. Vor gut zwei Jahren gelang es dem Kunsthistorischen Museum Wien – gleichfalls ohne eigenen Bestand –, 40 Werke zusammenzuführen; nun, im New Yorker Metropolitan Museum of Art, diesem Maßstab der Museumsgelehrsamkeit, sind es annähernd doppelt so viele – und überwiegend aus entweder spanischem Original- oder amerikanischem Museumsbesitz. El Grecos Werke, ursprünglich konzentriert auf seine jahrzehntelange Wirkungsstätte Toledo – und selbst dort über 250 Jahre in Vergessenheit geraten –, wurden um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert rasant zerstreut, ja im Falle mehrteiliger Altarwerke oft regelrecht auseinander gerissen. Ihre Ikonografie, eingebunden in die von strikten Anweisungen und peinlichen Kontrollen regulierte Theologie der Gegenreformation, ist im Einzelnen nur mehr Kennern verständlich. Eben darum konnten El Grecos Werke den expressiv aufgeladenen Erneuerungswunsch einer anbrechenden Moderne auf sich ziehen.

Im Gegensatz dazu kommt die New Yorker Ausstellung, die zu den Höhepunkten der Wintersaison weltweit zu zählen ist, streng wissenschaftlich daher. Von vornherein widerspricht sie Meier-Graefes einprägsamer Blitz-Metapher. Das gerade tat der 1566 im venezianisch beherrschten, doch kulturell byzantinisch verwurzelten Kreta geborene Domenikos Theotokopoulos nicht. Die Ausstellung beginnt mit frühen, teils erst unlängst mit Sicherheit zugeschriebenen Ikonen, die nichts von der späteren Bewegtheit seiner Malweise erahnen lassen. Die Ausstellung betont die innere Folgerichtigkeit einer Entwicklung, die den der Kürze halber bald El Greco genannten gelernten Ikonenmaler erst nach Venedig, dann nach Rom und schließlich nach Spanien führte. In der Lagunenstadt erlernte er in beeindruckender Geschwindigkeit das strahlende venezianische Kolorit der Bellini-Schule ebenso wie die Kompositionen Tizians und Tintorettos, in Rom den Formenreichtum Michelangelos und des Manierismus. In einer Mischung aus chronologischer und – vor allem für die Toledaner Jahrzehnte – thematischer Ordnung präsentiert die Ausstellung ein Werk, das in seinem Kern bezogen blieb auf eine existenzielle Glaubenserfahrung, die bereits dem frühen 20. Jahrhundert fremd geworden war.

Den Ausdruck dieser Glaubensgewissheit hat die Moderne als Ekstase von Form und Farbe missverstanden und vereinnahmt. Die New Yorker Ausstellung zeigt jedoch, dass El Greco durchaus nicht ekstatisch im Sinne des ihm angedichteten Schaffensrausches war. Die Wiederholung und Variation einmal gefundener, bezwingend geglückter Kompositionen weist ihn als höchst ökonomischen Handwerker aus, dem in Toledo eine vielköpfige Werkstatt zuarbeitete.

Der Maler bediente die unterschiedlichen Aufträge von Kirchen und Privatleuten gleichermaßen. So finden sich Kompositionen wie die bereits zu Beginn seiner römischen Zeit 1570 erprobte, aber eine venezianische Ansicht einbeziehende „Reinigung des Tempels“ in unterschiedlichen Formaten. Interessant gerade an der Tempel-Austreibung ist die Konsistenz der Grundkomposition über Jahrzehnte hinweg – bei bemerkenswerter Veränderung der Figuren von renaissancehafter Natürlichkeit bis hin zu jenen Verdrehungen im Spätwerk um 1600, die den Maler zum Vorbild des Expressionismus werden ließen.

1577 reiste El Greco aus Rom nach Spanien, wo er zum Hofmaler Philipps II. zu avancieren hoffte, allerdings vergeblich. Der König bevorzugte für seinen neuen Amtssitz El Escorial klar und einfach lesbare Bilder. Der Maler ließ sich in Toledo nieder, der von der Politik verlassenen, doch nach wie vor theologisch-intellektuellen Hauptstadt, wo er sich in einen hochgelehrten Zirkel einlebte, in dem er seine Auftraggeber fand. Allmählich bildete El Greco seinen einzigartigen Stil überlanger und gedrehter Figuren in fahlen und zugleich stechenden Farben heraus. Nie zuvor aus Spanien verliehene Glanzlichter der mit Höhepunkten reich besetzten New Yorker Ausstellung sind das immerhin bis 1961 als Altarbild am ursprünglichen Bestimmungsort verbliebene Hochformat der „Jungfrau der Unbefleckten Empfängnis“ (um 1610) sowie die „Anbetung der Hirten“, die der Maler als eines seiner letzten Werke für das eigene Grabmal in einer Toledaner Kirche vollendete. Von perspektivischer Raumillusion, wie sie sich der Maler in Venedig angeeignet hatte, ist hier wie schon seit Jahrzehnten keine Spur mehr. Die Figuren stehen, schweben frei im Raum, sie konstituieren ihn, in scharfem Helldunkelkontrast ausgeleuchtet vom spirituellen Licht des angebeteten Kindes.

In einem der Hirten wird ein Selbstbildnis des Malers vermutet – was eine Brücke schlägt zum Kapitel der Porträts, die El Greco in unerbittlicher Beobachtung, doch als Seelenbildnisse geschaffen hat. Meist vor monochromem Hintergrund heben sich die vergeistigten Gesichter ab, verschwimmen die Details zu einem einzigen Ausdruck der Persönlichkeit wie beim späten Bildnis des Juristen Jerónimo de Cevallos von 1610. Doch das Zentralstück der New Yorker Porträtgalerie markiert das berühmte Bildnis von 1601 eines bis heute nicht einwandfrei identifizierten Kardinals, handele es sich nun um den Großinquisitor Nino de Guevara oder – was die bisherige Interpretation des Gemäldes ins Gegenteil wenden müsste – des Kirchenreformers Bernardo de Sandoval y Riojas. Wie auch immer, die imposante Person spricht eben jener mystischen Versenkung Hohn, die El Greco in seinen Andachtsbildern so vollendet anzusprechen wusste: Ein Politiker sitzt da vor dem Betrachter, unnahbar und durchdrungen von der Machtfülle der katholischen Kirche.

Eine andere – und gegenüber der vermeintlich autonomen Formfindung gern vernachlässigte – Seite des Greco’schen Œuvres bezeichnen die zahllosen Heiligendarstellungen. Ihre gen Himmel gerichteten, puppenhaft vergrößerten und tränenerfüllten Augen bezeugen die religiöse Praxis der reuevollen Selbstkasteiung zumal in Spanien, wie sie Ignatius von Loyola oder Fray Luis de Granada predigten. Sie bezeugen allerdings auch eine Fließbandarbeit, die eine beständige Nachfrage immergleich bediente.

Abseits der religiösen Historienmalerei und der Porträts hat El Greco wenig geschaffen. Umso bemerkenswerter, dass zwei dieser „Außenseiter“ zu seinen Meisterwerken zählen – und im Metropolitan Museum zu bewundern sind: die Gruppe des „Laokoon“ vor der Kulisse seiner Wahlheimat Toledo und schließlich die Ansicht der Stadt selbst, eine von zweien, die der Maler je fertigte. In dieser Ansicht von Toledo – die Bauten vereint, die vom Standort des Malers aus nicht zusammen gesehen werden können – wird zum Gemälde, was Meier-Graefe in die Metapher vom Blitz fasste: ein zuckendes, überirdisch aus unergründlichem Himmel brechendes Licht, das die Konturen aller Bauten in kalkigem Weiß skizziert. Gerade weil dieses Werk der Erfahrung des heutigen Betrachters zugänglich bleibt, enthüllt es die spirituelle Qualität der antinaturalistischen Malerei El Grecos.

Seit 1929 übrigens befindet sich das Bild im Metropolitan Museum, das sich mit dieser grandiosen Ausstellung das schönste Kompliment zu seiner jahrzehntelangen Sammlungsstrategie ausspricht.

New York, Metropolitan Museum of Art, bis 11. Januar 2004, anschließend London, National Gallery. Katalog 40 Dollar.

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