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Das "linke Gewissen": Kubys Zeichnungen werden im Willy-Brandt-Haus gezeigt

Wehrkraftzersetzung: Erich Kubys Notizen und Skizzen erzählen von seiner sechsjährigen Weltkriegsreise durch Osteuropa und Frankreich. Die Werke sind im Willy-Brandt-Haus zu sehen.

Drei zockende Landser am Hüttentisch, Kippen zwischen den Lippen, Klampfe an der Wand. „Die treu sorgenden Familienväter, sie wissen alles, aber es ist ihnen wurst, solange es den anderen an den Kragen geht und nicht ihnen.“ Ein zerdepperter Bretterschuppen. „Die nächste Salve verwandelte das Holzhaus in einen Trümmerhaufen, aus dem ich die Schreibmaschine glücklicherweise nur verschmutzt, aber unbeschädigt bergen konnte.“

Blau getönte Schienen und Signale am Warschauer Bahnhof: „... in langsamem Tempo ein Zug voll deportierter Juden, meist Frauen und Mädchen, es war nicht mehr zu sehen als eine zusammengepferchte Menge mit gelben Sternen auf Brust und Schulter, aber es war das Bild, in das sich nun alles Gewusste einfügt.“

Erich Kubys Zeichnungen erzählen von seiner sechsjährigen Weltkriegsreise durch Osteuropa und Frankreich. Sie sind meistens unverfänglich, manchmal idyllisch, gelegentlich koloriert. Selten, wie im Fall des zerschossenen Schuppens, gehören Text und Bild zusammen. Aber sie laden sich gegenseitig mit Bedeutung auf. Die Zeichnungen gewinnen an Hintergrund, bisweilen an abgründigem Untergrund. Die analytisch verknappten, häufig gefährlich „wehrkraftzersetzenden“ Textsplitter gewinnen atmosphärisch, an privater Stimmungsbotschaft.

Zum 100. Geburtstag des Volkswirts und Schöngeistes, des Verlagsangestellten und unermüdlich mitschreibenden Wehrmachtsgefreiten, des kämpferischen Journalisten und „linken Gewissens“ der Bundesrepublik zeigt das Berliner Willy-Brandt-Haus Kubys „AufZeichnungen 1939 – 1945“. Die Korrespondenz der künstlerischen Momentaufnahmen mit Vita und Zitaten weckt die Erwartung, hier offenbare sich – über das andere Medium – Bewegendes aus dem spannungsreichen Innenleben des Fechters hinter seinem wortmächtigen Florett.

Kubys Biografie ist verknüpft mit den Dramen des 20. Jahrhunderts. Schon der Achtjährige misstraut 1918, auf dem elterlichen Gutshof in Oberbayern, der militaristischen Propaganda des Vaters, von dem er sich mit zunehmender Politisierung auch menschlich entfremdet. Ein Emigrationsversuch nach Jugoslawien missglückt 1934. Der Obergefreite fällt wegen eines Kriegsberichts, dessen Edition von der Militärzensur abgelehnt wird, wie auch wegen seiner Renitenz in Ungnade, wird inhaftiert, degradiert an zurück an die Ostfront geschickt, mit dem Vermerk „Rückkehr unerwünscht“.

Als Chefredakteur, Kommentator und Filmautor prägt er nach 1945 mit demokratisch selbstbewusster Unerbittlichkeit und sezierender Gesellschaftskritik die publizistischen Gefechte der westlichen Nachkriegsrepublik, ein unermüdlicher Pathologe des deutschen Unwesens; er stirbt 2005 in Venedig.

Ein Gigant wäre zu besichtigen: Zuletzt hat der Aufbau-Verlag Kubys auf ein Zehntel seiner Ursprungsnotizen komprimierte „Aufzeichnungen aus 2129 Tagen“ unter dem Titel „Mein Krieg“ ediert, dazu seine BRD-Chronik „Mein ärgerliches Vaterland“t: über 1140 Seiten aus der Weltverbesserungsfeder eines unverbesserlichen Skeptikers. „Er sei kein Schreiber, sondern ein Aufschreiber“ geworden, bekennt der rastlose Verfasser von über dreißig zeitkritischen Büchern.

Sein gedrucktes Kriegsbuch sei durch „Verdichtung“ entstanden, durch die Streichung von allem, was sich „auf Familie, Kinder, Behördenkrieg oder Geldsachen bezieht – kurz, was die privatbürgerliche Späre im engeren Sinn widerspiegelt.“ Diese unbedingte Wucht des politischen Denkers erschließt sich durch die Skizzenausstellung zunächst nicht. Weder seine scheinbar alltäglichen Bildmotive noch die unterschiedlich gelungene Suche des Zeichners nach dem markanten, eigenen Strich machen seine Impressionen zu Dokumenten; das leistet vor allem die Projektion des Betrachters.

Leider unterstützt die Form der Präsentation dieses Wechselspiel kaum. Die nach Gesetzen der Verbandsästhetik (sparsam & praktisch!) vollzogene Fixierung zarter Originale unter Plastikscheiben in Plastiklaschen auf weißen Stellwänden demonstriert auch den Zweifel der Ausstellungsmacher am Eigenwert der Miniaturen. Neben der drastischen Vergrößerung herausgehobener, auf Ausstellungsbanner gedruckter Motive, und in Konkurenz zu den Kameraschnappschüssen darunter haben Kubys fragile Eindrücke kaum Chancen, zur Geltung zu kommen. Die schönere Ausstellung ist der kleine Katalog, der Bilder und Texte ohne verunglückte Proportionen zusammenstellt.

Kubys „AufZeichnungen“ verraten weniger über „kritischen Journalismus“, als das Vorwort zur Ausstellung proklamiert. Aber sie umkreisen das Themenfeld zwischen „Bewusstsein“, „Gefühl“, „Distanz“ und „Beobachtung“. Die Frage „Wie nah soll die Welt mir kommen – und was mach ich daraus?“ steht zwischen Skizzen und Sätzen. Die Zuspitzungsschärfe des Aufschreibers findet in seinen Bildmomenten keine Entsprechung. Doch am nachhaltigsten mustert uns sein Selbstbildnis im Rasierspiegel: ein klares Augenpaar jenseits aller Illusionen, ein fleischiger Mund und eine gerunzelte Stirn, die nicht bereit scheint, ans Aufgeben zu denken. In einem Interview hat der Hochbetagte, angesprochen auf seine patriotische Familie, zwischen Citoyens und der Bourgeoisie unterschieden: Die einen kümmern sich, sagt er, die anderen nicht. Erich Kuby blickt uns an, als habe er keine Wahl gehabt.

„AufZeichnungen 1939 – 1945“, Willy-Brandt-Haus, Stresemannstr. 28, bis 5. September, Di - So 12 - 18 Uhr.

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