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Kultur: Das Logo als Lebensgefühl

Manchmal muss Gestaltung auch wehtun: Eindrücke vom Design-Mai, der heute endet

Blauer Teppichboden, kahle weiße Wände, Neonlicht. Einziges Zeichen von Leben – der obligatorische Gummibaum. Die Ausstellung „Visible Champions“, Teil des heute zu Ende gehenden Design-Mais zeigt Fotos deutscher Konferenzräume und Hotelzimmer und suggeriert: Wenn an solchen Orten Entscheidungen fallen, ist es kein Wunder, dass Deutschland die Ideen fehlen.

Glaubt man Ulrike Damm, ist das deutsche Corporate Design ein Einheitsbrei. Die Designerin hat 60 Broschüren deutscher Unternehmen analysiert. In der Wasseranstalt, einer Ausstellungshalle am Prenzlauer Berg, führt sie das Ergebnis vor. Fast alles verschwimmt in blau-grauen Tönen und horizontalen Flächen. Kaum ein Design hebt sich aus der Masse hervor, nicht einmal die Branchen sind unterscheidbar. „Versuchen heute alle Unternehmen wie Banken auszusehen?“, fragt der Katalog. „Hochwertig, seriös und innovativ?“

Corporate Design schwebt zwischen zwei Werten: Einzigartigkeit und Verständlichkeit. Wer auffallen will, muss Sehgewohnheiten verletzen. Ein Baustoffhersteller, der mit roten Sternen und lodernden Flammen werben würde, könnte seine Zielgruppe, die visuell auf biedere Solidität getrimmt ist, verfehlen. Laut Damm ist es vor allem die Angst vor Fehlern, die Unternehmen davon abhält, etwas Neues zu wagen. Ein Vorstandsvorsitzender weiß oft wenig von guter Gestaltung und greift lieber auf bewährte Auftrittsformen zurück, bevor er etwas falsch macht. Im Zweifelsfall entscheidet die Marktforschung, wie geworben wird, und die kann nur erzählen, was heute Erfolg hat. Statistik schafft keine Visionen.

Deutsches Design – Seelenspiegel für das ängstliche, sicherheitssehnsüchtige Umfragendeutschland? Jedenfalls habe es „mit der politischen Kultur viel zu tun“, sagt Damm. Auch dort gehe es inzwischen vor allem darum, keinem wehzutun. Letztes Jahr hat Damm das Wahlergebnis vorhergesagt – anhand des Parteiendesigns. Die vorher schwarze CDU präsentierte sich plötzlich verwegen orange, die SPD schwenkte von Rot zu sanftem Umbra. Im großkoalitionären Einheits-Farbtopf fanden sie zusammen.

Anders als zu Zeiten des Rheinischen Kapitalismus, als sich Unternehmen noch nach ihren Gründern seriös-schlicht „Franck-Kaffee“ und „Krupp-Stahl“ nannten, stehen sie heute für alles und nichts. Wie die Mobilfunkmarke O2 – benannt nach der Molekülformel von Sauerstoff, mit einem Design, wie es blauer kaum sein könnte. Ulrike Damm hat das Erscheinungsbild mit ihrer Agentur Damm und Lindlar mitgestaltet. Das Logo kam allerdings aus London: „Britischen Designern traut man bei neuen Lösungen mehr zu als deutschen.“

Leicht verständliches Design setzt sich kommerziell durch, und eine reduzierte Formensprache mit einheitlichen Regeln macht es Unternehmen leicht, an jedem Ort der Welt das gleiche Design geliefert zu bekommen. Doch Damm sieht die Zukunft eher in der Methode von Nike und Diesel, Marken, die in vielfältigen Formen auftreten: „Ein Logo, ein Lebensgefühl, und der Designer darf losspinnen.“ Dass Designer gerne mehr Spielraum hätten, um sich auszutoben, ist verständlich. Doch gibt es darüber hinaus eine Notwendigkeit zu mehr Abwechslung? Weder Unternehmen noch Verbraucher scheinen sich nach Vielfalt zu sehnen. „Klar“, resümiert Damm, „die Leute finden alles toll.“ Dennoch: „Als Designer hat man eine Verpflichtung zur Sorgfalt gegenüber dem öffentlichen Raum.“ Schlechtes Design ist für sie „eine Art Umweltverschmutzung“.

Auch Kiko Farkas spricht von visueller Umweltverschmutzung. Er ist einer von drei Kuratoren der Ausstellung „Brasilianisches Design: Leben mit Extremen“, die in der „Designcity“ am Gleisdreieck präsentiert wird. Seine Heimatstadt São Paulo sei bis ins Kleinste mit Werbung zugepflastert, berichtet er. In Brasilien gibt es keine Regulierung für öffentliche Reklame. Dennoch ist dieses Land, in dem so viele Kulturen ihre Spuren hinterlassen haben, weit entfernt vom Einheitsdesign.

Das ist die Botschaft der brasilianischen Ausstellung, die Welterfolgen wie Flip-Flops und Bikinis das Design der kleinen Leute gegenüberstellt: ein zum Limonenladen umgebautes Fahrrad, eine Waschmaschinentrommel als Grill. Hier waren Designer am Werk, die den Begriff „Design“ wahrscheinlich selbst nicht kennen. In Brasilien, so Farkas, sei Gestaltung oft ein „Design der Notwendigkeit“, eine Überlebensstrategie. Selbst Favela-Hütten werden gezeigt, in friedlicher Abendstimmung. Darf man das noch Design nennen? Wäre denn der Einkaufswagen, der in einem Neuköllner Hinterhof zum Grill umfunktioniert wird, auch Design? „Ja“, bestätigt Farkas strahlend, „das ist Design.“ Vielleicht ist es um das deutsche Design doch nicht so schlecht bestellt.

„Visible Champions – Corporate Design in deutschen Unternehmen“. Wasseranstalt, Erich-Weinert-Str. 131, bis 28. Mai, 10-20 Uhr. „Brasilianisches Design: Leben mit Extremen“. Hallen am Gleisdreieck, Luckenwalder Str. 4-6, Halle B, bis 21. Mai, 10-22 Uhr.

Kolja Reichert

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