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Kultur: Das machen wir wieder Konzerthausorchester:

Zagroseks Einstand

Sie beginnt so unaufgeregt, dass man im Terminkalender nachschlagen will, um sich zu versichern: Das Konzerthaus feiert den Beginn der Ära Lothar Zagrosek, tatsächlich. Es geht ruhig zu, man kennt sich, durch die Foyers zieht eine Gulaschsuppenbrise. Im Großen Saal ist das Gestühl entfernt, für ein Gefühl wie bei den Londoner „Proms“-Konzerten, dem Gipfel der Klassikbegeisterung. Doch das Publikum nimmt das Konzerthausparkett vorsichtig in Besitz. Man hat getüftelt an der Akustik des Hauses, die den Klang gerne wegschluckt. Die großen Werke der Spätromantik, die Zagroseks Vorgänger Eliahu Inbal dirigierte, klangen auf vielen Plätzen wie fernes Donnergrollen feindlicher Mächte.

Mehr Transparenz, händeringend gesucht in einem Saal, dessen überbordendes Dekor ohnehin der Konzentration nichts Gutes tut. Ob sie nun gefunden ist? Als sichtbares Zeichen des akustischen Neuanfangs finden sich schicke Plexiglassegel über dem Podium. Als Zagrosek den Einsatz zu Webers Freischütz-Ouvertüre gibt, die vor gut 185 Jahren zum ersten Mal hier am Gendarmenmarkt erklang, da hat der Saal ein deutlicheres Fundament in den tiefen Tönen gefunden. Tastend gehen der Chef und sein neues, neu benanntes Orchester der Musik entgegen. Man wagt noch nichts, kein Tempo, keine harmonischen Schärfen.

Mit dem Auftritt des Poetry-Slammers Saul Williams beginnt die Belastungsprobe für die Stehenden. Die Sanitäter kommen zu ihren ersten Einsätzen. Das ist nicht Williams’ Schuld, denn würde man die Wortkaskaden des zornigen jungen Mannes nicht in einer zähen musikalischen Umverpackung des Schweizer Seniors Thomas Kessler angeboten bekommen, ja würde man sie überhaupt verstehen können – Respekt wäre Williams sicher. Leider gibt es keinen Text im Programmheft, aber man kann vermuten, dass der Poet mit dem männlichen Gott und seiner Welt abrechnet und dabei auf Sprüche stößt wie „a new language – always a sign of a new age“.

Das würde Zagrosek sicher unterschreiben – dem Publikum vermittelt hat er es nicht. Wagner beschließt den ersten Teil des Abends, Siegmund und Sieglinde entdecken einander – Bruder, Schwester, Liebende. Das Orchestertasten geht weiter, nie hat man sich so nach schnell vollzogener Blutschande gesehnt.

Locker wird es erst mit dem Publikumsorchester. Zagrosek probt mit einem Riesenteam den ersten Satz aus Dvoraks 9. Sinfonie „aus der Neuen Welt“. Zagrosek behandelt es mit dem sanften Spott des Musikers: „Was mir gut gefällt; ist, dass es manchmal schön laut ist.“ Lachen sickert in die hoch konzentrierten Gesichter. Man fühlt sich ernst genommen, als Teil des Organismus Klassik. Und so löst sich ein, was im ersten Teil nur gut gemeinte Absicht war und zu bleiernen Füßen führte. „Das machen wir wieder“, ruft Zagrosek seinem Amateurorchester noch zu. Der Chef des Konzerthausorchesters zeigt sich aufgeräumt. Und man wünscht ihm von Herzen, dass er künftig der Biederkeit entgeht.

Die nächsten Konzerte von Zagrosek mit dem Konzerthausorchester: 31. 8., 1./2. 9. (Wagner, Debussy, Schönberg, Höller) und 7./8./9. 9. (Mozart, Zemlinsky).

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