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Pauline Burlet als Violette

© Film Kino Text

„Das Mädchen, das lesen konnte“ im Kino: Dorf der Frauen

Feministisches Regiedebüt: Marine Francens historische Bauerndrama "Das Mädchen, das lesen konnte" erzählt von einer Welt ohne Männer.

Von Andreas Busche

Dass sie die Männer eigentlich nicht brauchen, merken die Frauen erst, als es zu spät ist. Nachts stürmen die Truppen Napoleons das Dorf in der Provence und verschleppen die Männer in Arbeitslager. Die Ernte steht bevor und plötzlich sind die Frauen und Kinder auf sich allein gestellt. Schlimmer noch: Sie sind Eindringlingen schutzlos ausgeliefert. Um Hilfe von außen wollen sie nicht bitten, das Dorf der Frauen will sich weder dem Klerus noch einem Feudalherren unterwerfen. Die Unabhängigkeit ist ihr höchstes Gut. Also bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die Feldarbeit allein zu verrichten.

Das Verhältnis des weiblichen Körpers zur Arbeit, aber auch zu den Zyklen der Natur sind das Thema von Marine Francens feministischem Regiedebüt „Das Mädchen, das lesen konnte“. Der Historienfilm ist die logische Form, da die moderne Arbeit zunehmend abstrakter wird. Francen bezieht sich auf die 1919 veröffentlichten Lebenserinnerungen der Bäuerin Violette Ailhaud.

Der nächste Mann muss mit allen schlafen

Im Film wird Violette von der 22-jährigen Pauline Burlet gespielt, in deren harten Gesichtszügen sich die aufsässige Haltung der Frauen widerspiegelt. In anderer Hinsicht unterscheidet sich Violette jedoch: Ihr Vater hat ihr das Lesen beigebracht. Violette ist also sowohl für die affektive als auch die reproduktive Arbeit zuständig, sie unterrichtet die Kleinen und hilft der Mutter auf dem Feld.

Die Reproduktion erhält aber noch eine andere Konnotation, denn die jungen Frauen leiden auch unter libidinösen Entbehrungen. Ohne die Männer ist zudem das Fortbestehen der Gemeinschaft gefährdet. Die jungen Frau schließen einen Schwur: Der nächste Mann muss mit ihnen allen schlafen. Es ist sozusagen eine patriotische Pflicht. Jean (Alban Lenoir), der auf der Flucht vor Napoleons Armee im Dorf Unterschlupf findet, weiß gar nicht, wie ihm geschieht.

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Auf Realismus legt Francen, die schon als Regieassistentin für Olivier Assayas und Michael Haneke gearbeitet hat, keinen gesteigerten Wert. Das schmale 4:3-Bildformat ist eine Beschränkung, die einen stärkeren Fokus auf die Gesichter der Frauen legt. Man nimmt den schönen Bauernmädchen das harte Landleben zwar nicht ganz ab, aber die lichten Bilder Alain Duplatiers besitzen eine lyrische Durchlässigkeit, die den körperlichen Begehren eine kaum greifbare, sinnliche Qualität verleiht.

In den Berliner Kinos Acud, Hackesche Höfe, Delphi Lux, Kulturbrauerei, Fsk (auch OmU)

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