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Kultur: Das mobile Buch

Mehr feilschen, weniger lesen: Warum der Markt für Gebrauchtbücher boomt

Früher war es ja so: Wer ein Buch suchte, das keine Buchhandlung mehr besorgen konnte, tat gut daran, gegen Staub nicht allergisch zu sein. Auch der richtige Riecher, Hartnäckigkeit und Verhandlungsgeschick konnten nicht schaden bei den Exkursionen auf Flohmärkte, zu Trödlern und in Antiquariate, diesen voll gestopften Schatzhöhlen mit einem oft schrulligen Buchliebhaber hinter wackligem Tisch. Heutzutage ist das anders: Um Millionen imaginärer Regale mit gebrauchten und antiquarischen Büchern aller Art und Preisklassen zu durchstöbern, genügen rudimentäre Internetkenntnisse.

Thomas Manns „Zauberberg“ für 7,01 Euro im Taschenbuch oder als Erstausgabe für 2000 Euro? Harry Potter auf Deutsch, Italienisch oder Dänisch? Das Faksimile der von Gutenberg gedruckten Luther-Bibel für 3980 Euro, die lateinische Bibel von 1480 aus Venedig für 23 000 Euro oder lieber die Ausgabe in schwarzer Pappe für 5,30 Euro? Es ist alles da, irgendwo auf der Welt und doch nur ein paar Mausklicks entfernt. Jedes Jahr kommen erkleckliche Mengen hinzu: Das druckfrische Buch von heute ist das gebrauchte von morgen. Und übermorgen, nach etwa 20 Jahren, gilt es dann als antiquarisch.

Zwischen Suchern und Anbietern von gebrauchten Büchern vermitteln wenige riesige Datenbanken im Internet. Die wichtigsten Anlaufstellen für gebrauchte Bücher von Privatleuten wie Antiquaren sind Ebay (1,6 Millionen Angebote), Amazon (keine Angaben) und Booklooker (10 Millionen). Bei Amazon und Booklooker stehen die Preise für das neue und das gebrauchte Exemplar direkt nebeneinander. Kommt ein Geschäft zustande, für das der Käufer seine Adresse, manchmal auch eine Bankverbindung eingeben muss, kassieren die Vermittler 8 bis 15 Prozent Provision vom Verkäufer.

Auf dem Markt für antiquarische Bücher sind Privatleute in der Regel nur Käufer. Die Datenbanken des ZVAB (20 Millionen Bücher weltweit), von Antbo (fünf Millionen), antiquario (drei Millionen) und kleineren Unternehmen stehen lediglich Antiquaren offen. Lediglich Abebooks (70 Millionen weltweit) akzeptiert auch Amateure. Wer sich die Suche erleichtern will, konsultiert die Metasuchmaschine eurobuch.com und recherchiert gleichzeitig in mehr als 20 Datenbanken auf dem gesamten Globus. 140 Millionen neuer und alter Bücher versprechen die österreichischen Betreiber.

Der Onlinehandel mit Büchern aus zweiter Hand wächst mit über 30 Prozent jährlich noch stärker als der mit neuen Publikationen. Die Menschen, so scheint es, haben den Händler in sich entdeckt und verscherbeln auf Teufel komm raus, was früher lebenslang die Schrankwand zierte. Und sie kaufen auch wieder. Das Internet verändert unsere Vorstellung von Besitz: Das Buch ist mobil geworden, ein Lebensabschnittsbegleiter wie andere(s) auch. Alles fließt, jeder handelt. Mancher verzichtet gleich aufs Lesen: Vor einem Jahr war der neue Martin Walser bei ebay schon zu ersteigern, bevor der Verlag das Buch ausgeliefert hatte. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels ist wachsam: Vor zwei Jahren wurde ein Journalist, der seine kostenlosen Rezensionsexemplare in großer Zahl billig weiterverkaufte, wegen Verstoß gegen die gesetzliche Preisbindung verurteilt.

Wenn Leser zu Händlern werden und Erben das Verhökern selbst in die Hand nehmen, haben Antiquare das Nachsehen. Die Amateurkonkurrenz zahlt weder Steuern noch Geschäftsmiete und kann die im Netz ermittelten Preise locker unterbieten. Daher können die Antiquariate vom gewaltigen Wachstum des Onlinehandels mit gebrauchten und antiquarischen Büchern kaum profitieren. Sie verkaufen zwar selbst online, im Schnitt ein Drittel ihrer Bücher. Doch ihr Umsatz ist in den letzten Jahren nur geringfügig gewachsen. Neben dem Preisdumping durch die Amateure droht den Antiquaren die Abhängigkeit von einer großen Datenbank: Das Zentrale Verzeichnis antiquarischer Bücher, kurz: ZVAB, beherrscht den deutschen Markt zu knapp 50 Prozent. 160 Antiquariate haben sich daher in der Genossenschaft Prolibri.de (1,7 Millionen Bücher) zusammengeschlossen, um dem Riesen nicht ausgeliefert zu sein.

Nervös sind auch die Verleger geworden, obwohl manche gern die Möglichkeit nutzen, größere Posten von Restauflagen unauffällig bei Netztrödlern zu verklappen. Thomas Schwörer von Campus befürchtet sinkende Verkäufe neuer Bücher durch jene aus zweiter Hand. Auch der Umsatz elektronischer Bücher, von denen Campus 5000 anbietet, könnte durch gebrauchte Exemplare leiden. Schwörer fordert daher für Verlage und Autoren einen angemessenen Anteil an der Verkaufsprovision sowie eine „Schamfrist“, vor dessen Ablauf ein neues Buch nicht als gebrauchtes angeboten werden darf. Amazon, sagt er zuversichtlich, sei gesprächsbereit. Ein ähnlicher Vorstoß der amerikanischen Schriftstellervereinigung „Author’s Guild“, der sich der „Verband deutscher Schriftsteller“ anschloss, ist vor vier Jahren allerdings im Sande verlaufen. Kein Wunder: Volkswagen erhält auch keinen Obolus, wenn ein Golf den Besitzer wechselt. Im Gegenteil, der Autobauer hebt den hohen Wiederverkaufswert hervor. Ein Modell für Verleger teurer Fachbücher?

Staub und Mühe wie bei Antiquaren und Trödlern mag einem das Internet ersparen. Um anderes beraubt es den Suchenden: um das Glück des Zufallsfunds. In Datenbanken sucht man in der Regel gezielt nach dem Gewünschten. Nur weiß man zum Glück ja oft gar nicht so genau, was man eigentlich sucht …

Jörg Plath

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