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Schwungrad. Barenboim dirigiert seine Staatskapelle.

© Carolina Redondo/Musikfest

Das Musikfest Berlin beginnt: Anfang sucht Zauber

Daniel Barenboim dirigiert die Staatskapelle mit Bruckners 8. Symphonie

Selten hat man einer Saisoneröffnung in der Musikstadt Berlin so freudig entgegengeblickt. Gleich drei neue Chefdirigenten beginnen ihre Arbeit – Vladimir Jurowski beim RSB, Robin Ticciati beim DSO und Justin Doyle beim Rias Kammerchor. Jeder von ihnen verspricht eine programmatische und emotionale Erweiterung des ohnehin gut gefüllten Portfolios. Die Staatsoper nimmt in Etappen ihr Stammhaus Unter den Linden aufs Neue in Besitz, und bei den Berliner Philharmonikern tritt mit Andrea Zietzschmann eine Intendantin an, für die klassische Musik wieder das Herz und die Seele aller Dinge ist.

Beste Voraussetzungen also für einen starken Jahrgang des Musikfests, das als Nachfolger der seligen Berliner Festwochen die musikalische Startenergie bündeln und in den internationalen Vergleich stellen will. Daniel Barenboim und seine Staatskapelle dürfen es eröffnen, und sie spielen, was man rund um den Globus von ihnen hören will: Bruckner, abendfüllend mit der 8. Symphonie, der letzten, die der Komponist vollenden konnte. Man muss sich das schon sehr zurechthören wollen, um darin einen Zusammenklang mit dem italienischen Grundthema des Festivals auszumachen. Wie man auch willens sein muss, Barenboims Lesart zu folgen.

Seine Bruckner-Interpretation ist über die Jahre gewachsen, hat ihre mitunter ätzende Schärfe und die Aggressivität, mit der die Klangblöcke aneinanderprallen, zugunsten einer größeren Weite aufgegeben. Wie Barenboim mit seinen Musikerinnen und Musikern Raum greift, wie selbstverständlich expansiv ihr Spiel geworden ist, das macht unbedingt Eindruck. Auch in der Klangbalance zwischen Streichern und Bläsern spiegelt sich, was ein Vierteljahrhundert gemeinsamen Probierens bewirken kann. Höhenwanderungen werden da möglich, die in unvergessliche Gipfelstürme münden wie beim Bruckner-Zyklus in New York zu Beginn dieses Jahres.

Urlaubsform und Hausmacht

Zu dieser besonderen Form hat die Staatskapelle nach dem Urlaub noch nicht gefunden. Und das wird zur Bürde bei einem Werk, das sich immer und immer wieder neu aufschwingen muss, auch in Situationen, die völlig ausweglos erscheinen. Da ist eine streitbare Unbedingtheit gefragt, auch solistisches Abenteurertum, das einfach nicht aufglänzen will an diesem Abend. Barenboims Cinemascope-Optik dagegen rückt auch ungeahnte Aspekte ins Licht, etwa im Adagio, in dem eine Meditation über ein mögliches musikalisches Morgenland anzuklingen scheint. Bruckners Hinweis „aber nicht schleppen“ gerät dabei allerdings zur Fata Morgana. Der Grundpuls ist nur schwach zu spüren. Ein Kollaps droht, gegen den sich der gewaltige Körper dieser Symphonie nicht mehr aufzulehnen vermag. Am Ende der Aufführung begleitet Barenboim einen sich sichtbar unwohl fühlenden Geiger rasch hinaus. Der Rest ist langsam anwachsender Jubel.

Und Ansprache auf dem Empfang nach dem Eröffnungskonzert. Festspiele-Chef Thomas Oberender will ein besonderes, kein Abonnentenpublikum in der Philharmonie ausgemacht haben. Wenn er mal im Altverteiler seines Hauses kramt, wird er dort aber die meisten wiederfinden. Er lobt seinen „Programm-Alchemisten“ Winrich Hopp, und zusammen mit der Hausherrin Andrea Zietzschmann wird die Wichtigkeit des Musikfestes beschworen. Doch eine echte Hausmacht fehlt dem Klassikfestival, Gastgeber, die Wein auftischen, statt Wasser in den großen Krug zu gießen. Das Musikfest könnte ein Rausch sein, mit Programmen, wie man sie sonst nirgends zu hören bekommt. Hoffentlich beteiligen sich Berlins neue Chefdirigenten beherzt am Einschenken.

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