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Kultur: Das Paradies ist nirgendwo

Kirmes und Waschbeton: Bohdan Slamas „Jahreszeit des Glücks“

Bootsfahrt auf einem Weiher, ein Pärchen und zwei Kinder. Die toten Strünke, die aus der Oberfläche ragen, das seien die Griffel schlafender Wassermänner: „Pssst, sonst wecken wir sie auf!“, raunt der Mann. Im Hintergrund zwei gewaltige Kohlekraftwerke, die ihre Abgase in den Himmel stoßen. Dazu ein Zigeunerlied auf der Gitarre – Industrieromantik à la Tarkowskij, nur weniger bedrohlich.

Die Kinder auf dem Boot in Bohdan Slamas „Jahreszeit des Glücks“ gehören nicht zum Paar. Ihre Mutter Dascha (Anna Geislerova) sitzt in der Psychiatrie, blauer Kittel, autistisch. Der Märchenerzähler, Tonik (Pavel Liska), ist arbeitslos, kifft und „bekommt immer aufs Maul“. Seine Angebetete, Monika (Tatiana Vilhelmova), will zu ihrem Freund nach Amerika. Nur um für die Kinder zu sorgen, sind die beiden zusammen: Es gibt nicht nur eine Jahreszeit.

Schon der Ort ist düster: eine tschechische Industriestadt, ein Zwitter aus Bauernland, Fabrik und Mietskaserne. Was der Regisseur zeigt, soll überall sein und nirgendwo, Transitland zwischen Ost und West, die Peripherie schlechthin. Der Film entwirft keinen falschen Sozialrealismus und wiederholt auch nicht die Klischees eines Generationenkonflikts: die Rebellion Toniks gegen den Vater besteht, paradox genug, darin, dass er seinen Cannabis auf dem Bauernhof des Großvaters züchtet.

Milos Forman, Meister der tschechischen „Nouvelle Vague“, setzte die Satire noch als Waffe gegen das Regime ein. Slama nun bricht die Tragödie des postsowjetischen Alltags ins Groteske: Mitten in die Waschbeton-Tristesse von Plattenbauten platziert er eine grelle Kirmes. Die Kinder fahren Boxauto. Die Mütter haben Ringelstrümpfe und kirschrote Münder wie auf einer Retro-Hippie-Party. Die Männer tragen „Sepultura- arise“-T-Shirts, trinken Bier und grölen wie beim Rockkonzert. Während die Kinder Boxauto fahren, ist Zeit für einen schnellen Fick.

Als Zukunftsvision erscheint wie so oft Amerika, Tschechows „Moskau“ jenseits des Atlantiks. Slama spielt mit den Klischees eines Paradieses, aus dem digitale Postkarten kommen. Die Alten haben noch Fantasien wie aus dem Edison-Kino, von Indianern und Büffeln. Bei den Jüngeren hängt ein Bild von New York, auf dem die Skyline noch unversehrt ist. Die Wirklichkeit ist nicht so intakt wie das, was man träumt. Und was man träumt, ist oft schon Wirklichkeit: Monika arbeitet in einem Supermarkt, mit blau-weißer Corporate-Identity bis zur Kappe.

Seine Wunschmaschinerie überlässt Slama, der sich schelmisch einen „permanenten Filmamateur“ nennt, nicht zuletzt Improvisation und Zufall. Die Rede, das wirkliche Leben sei wie ein schlechter Film, nimmt er eulenspiegelhaft beim Wort: Die Traumprojekte seiner Protagonisten stürzen derart theatralisch in sich zusammen, dass sie als Kulisse erkennbar werden. So wird am Ende die Desillusionierung zum Effekt.

Hackesche Höfe, Kulturbrauerei, Neues Kant, Neues Off, Union

Kaspar Renner

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