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Yannick Nézet-Séguin ist seit 2012 Chefdirigent in Philadelphia.

© Marco Borggreve

Das Philadelphia Orchestra im Konzerthaus: Kunst des Kniefalls

Von der Semperoper ins Konzerthaus: Das Philadelphia Orchestra gastiert mit seinem Dirigenten Yannick Nézét-Séguin in Berlin.

Es ist ein hübscher Kniff, den sich die Dresdner Musikfestspiele da haben einfallen lassen. Als Botschafter senden sie das Philadelphia Orchestra nach seinem Auftritt in der Semperoper einfach weiter in die Hauptstadt. Hört her, solche funkelnden Gastspiele könnt ihr beim Festival an der Elbe erleben (noch bis zum 7. Juni). Yannick Nézet-Séguin ist der richtige Mann für so eine Mission. 40 Jahre jung, befeuert er Orchester zwischen Montreal, Rotterdam, London und Philadelphia mit der unerschütterlichen Energie eines Eintänzers. Und es gibt nicht wenige, die in ihm auch einen möglichen Nachfolger für Simon Rattle sehen.

Seit 2012 wirkt Nézet-Séguin in Philadelphia und motiviert spürbar sein Orchester, das in den vergangenen Jahren mit finanziellen und künstlerischen Defiziten zu kämpfen hatte. Für jeden Musiker hat er ein Lächeln und einen präzise geschlagenen Einsatz parat. Ja, selbst ein Herunterstolpern vom hohen Dirigentenpult fängt Nézet-Séguin spielerisch ab – und verwandelt es in einen Kniefall vor seiner Solistin Lisa Batiashvili. Dieser Dirigent liebt, was er tut, und er vermittelt dabei das Gefühl, mit ihm würde die Fülle niemals enden. Früher sprach man gerne von der Generösität des Philadelphia-Sounds, heute müsste man das Klangideal wohl weniger vornehm als rich bezeichnen.

Eine erste Kostprobe liefern Nézet-Séguin und seine Musiker mit der von ihnen in Auftrag gegebenen Komposition „Mixed Messages“ ab. Vor zwei Wochen in Philadelphia uraufgeführt, spannt das Werk von Nico Muhly ein dichtes Philip- Glass-Netz in den Streichern auf, in dem ab und an ein paar Bernard-Herrmann-Attacken stranden. Die Bläser klingen geduckt wie aus einer Spielkonsole. Kein Wunder, dass in der Folge Schostakowitschs 1. Violinkonzert von Nézet-Séguin ganz auf Breite angelegt wird. Lisa Batiashvilis kraftvoll ausschwingender Klageton nimmt rund und voll den Konzerthaussaal für sich ein. Da auch das Orchester seine Reihen geschlossen hält, entwickelt sich eine auszehrende Klanggegenwart: ein schönheitsverliebter, verstörender Blick auf Schostakowitsch.

Als Showstück für Orchester erklingt nach der Pause die 3. Symphonie von Rachmaninov. Das Philadelphia Orchestra hatte sie 1936 uraufgeführt. Unbewältigte Trauer rauscht in Strauss-Opulenz, unbelebte Ebenen verwandeln sich in Disney-Landschaften. Nézet-Séguin wirbelt, sortiert aber nichts. Ein Aufruhr, der ohne Folgen bleibt.

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